Silvesterkuss – Ein lesbischer Liebesroman

Buchcover des Buchs Silvesterkuss - Ein lesbischer Liebesroman

Kurzbeschreibung:

Ein Silvesterabend in New York. Wer wünscht sich das nicht? Für Caro jedenfalls, geht damit ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Damit ihr Jungesellinnen-Abschied zu einem unvergesslichen Erlebnis wird, hat ihr Verlobter Alexander sie und ihre Freundinnen zu diesem Kurztrip in die Stadt, die niemals schläft, eingeladen. Tatsächlich hält dieser Urlaub für Caro einiges Unvorhersehbares bereit. Als sie dort unerwartet Alexanders charmante Schwester kennenlernt, findet sich Caro bald schon in einem emotionalen Gefühlschaos wieder. Als wäre das nicht schlimm genug, lässt die mysteriöse Begegnung mit einer alten Dame, die auf rätselhafte Weise ihre Zukunft voraussagt, Caro zu einer Tat verleiten, die endgültig alles auf den Kopf stellt.

Leseprobe

Kapitel 1

„New York? Wirklich?“, jauchzte Caro begeistert und fiel ihrem Verlobten stürmisch um den Hals.

„Ja. Es haben alle zugesagt und offenbar konnten deine Freundinnen wirklich mal die Klappe halten“, Alexander lachte vergnügt und gab seiner Freundin, die ihn immer noch eng umschlang, ein Küsschen auf den Mund. Zum bevorstehenden Jungesellinnen-Abschied hatte sich Alexander tatsächlich nicht lumpen lassen. Er hatte in den letzten Wochen bereits angedeutet, dass da was Größeres im Gange war. Damit hatte Caro allerdings dann doch nicht gerechnet. Zwar stand die Hochzeit erst im kommenden Sommer an, aber ein Junggesellinnen-Abschied an Silvester in New York, das war der Wahnsinn. Caro hatte sich schon lange eine Reise in die USA gewünscht und New York stand auf ihrer Wunschliste ganz oben. Nun sollte dieser Traum wahr werden. Und nicht nur das. Ihre beiden besten Freundinnen waren mit von der Partie. Besser konnte das alte Jahr nicht ausklingen. Caro hatte das dringende Bedürfnis, irgendjemanden von dieser tollen Neuigkeit zu erzählen. Sie nahm das Handy und wollte gerade Nadjas Nummer wählen, da fiel ihr wieder ein, dass die ja schon lange informiert war. Caro rümpfte die Nase. Den Anruf bei Tamara konnte sie sich dann wohl ebenfalls sparen. Aber ihre Uroma würde sie gleich anrufen. Denn sie war sicher, dass sie sich mindestens so sehr darüber freute, wie Caro selbst. Zuerst ging sie aber nun in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.

„Du und deine Jungs, ihr kommt dann also auch mit?“, rief sie ins Wohnzimmer, denn in der Aufregung hatte sie vorhin nicht ganz zugehört.

„Ja. Wir machen ebenfalls eine Tour. Was wir genau vorhaben, das weiß ich noch gar nicht. Kai hat alles organisiert. Ich weiß nur, dass wir uns wohl kurz vor Mitternacht wieder alle an einem Ort einfinden werden. Ich will doch mit meinem Schatz das neue Jahr begrüßen“, Alexander war ihr in die Küche gefolgt und umarmte sie liebevoll von hinten. Dann griff er nach einem Stück Banane, das sich Caro für ihr Müsli vorbereitet hatte.

„Hey, Finger weg. Mach dir dein eigenes Müsli“, schimpfte Caro und schlug ihrem Freund ermahnend auf die Finger.

Du willst doch ständig, dass ich mehr Obst esse“, verteidigte er sich und hob unschuldig beide Hände nach oben.

„Ja, das stimmt. Du sollst aber nicht mein Obst essen. Ich mache gern auch ein Müsli für dich“, Caro hatte sich zu ihrem Freund umgedreht, die Arme verschränkt und sah ihn herausfordernd an. Alexander verzog das Gesicht, denn Müsli war so überhaupt nicht sein Ding. Sobald eine Mahlzeit kein Fleisch enthielt, war es für Alexander auch keine richtige Mahlzeit. Fleisch war sein Lebenselixier und sein heißgeliebter Grill sein heiliger Schrein, den außer ihm und seinem besten Kumpel Kai, niemand berühren durfte. Caro dagegen bemühte sich, weitestgehend auf Fleisch zu verzichten, aber sie störte sich auch nicht besonders an seinem Fleischkonsum. Das war einer von vielen Gegensätzen des im Grunde sehr ungleichen Paares. Doch genau das, so glaubte Caro, machte ihre Beziehung aus und war der Grund, warum es mit Alexander nie langweilig wurde. Drei Jahre waren sie nun zusammen. Sie dachte an ihr gemeinsames Kennenlernen, damals als sie in seiner Firma ihr Praktikum begann. Sie, die damals eher schüchterne, junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz und den, wie er immer sagte, rehbraunen Augen. Und er, der großgewachsene Mann mit seinen stahlblauen Augen und den kurzen pechschwarzen Haaren, bei denen Caro von Beginn an das unbändige Bedürfnis hatte, mit den Händen durchzufahren. Auch heute noch konnte sie die Finger nicht von seinen Haaren lassen und es war ihr auch völlig egal, ob er sie, so wie auch heute, minutenlang im Bad gestylt hatte. Sie peilte rabaukenhaft seinen Haarschopf an und langte blitzartig und ohne jede Vorwarnung mit ihren Händen hinein. Alexander machte einen reflexartigen Schritt zurück und besah sie mit einem finsteren Blick.

„Oh man, Caro. Ich habe gleich einen Termin“, seine Verärgerung war nicht gespielt, das erkannte Caro sofort. Er eilte hektisch in Richtung Badezimmer.

„Jetzt hab dich nicht so. Du bist doch der Chef von dem Laden“, rief sie ihm hinterher.

„Ja, das stimmt zwar, aber sowas interessiert meinen potentiellen Kunden überhaupt nicht, wenn er auf mich warten muss“, hörte sie ihn aus dem Bad schimpfen.

Caro war hingegen viel zu gut drauf, um sich von ihrem Freund die Laune verderben zu lassen. Sie schnappte sich ihre Müslischüssel, nahm auf ihrem Lieblingsstuhl am Esstisch Platz und angelte nach ihrem Tablet. Dann tippte sie den Suchbegriff „New York“ in das Suchfeld des Browsers ein. Freiheitsstatue, Central Park, Empire State Building waren die ersten angebotenen Reisetipps, die ihr vorgeschlagen wurden. Als dann noch das Museum of Modern Art auf dem Bildschirm erschien, machte ihr Kunstgeschichtsherz einen freudigen Hüpfer. Wie viele Filme hatte sie gesehen, die in New York spielten? Jedes Mal hatte sie sich gefragt, ob es sich dort tatsächlich so anfühlte, wie Caro es sich immer ausgemalt hatte. Bald würde sie es erfahren. Und obwohl sie sich auch ein wenig vor einer Enttäuschung fürchtete, überwog die stetig anwachsende Vorfreude auf diese tolle Stadt. Alexander hatte erwähnt, dass Kai die Junggesellen-Tour ihres Verlobten geplant hatte. Aber wer würde Caros Jungesellinnen-Abschied leiten? Nadja und Tamara kannten sich in New York ebenso gut, oder vielmehr schlecht aus, wie sie selbst.

„Alex“, rief sie in Richtung Badezimmer, „Woher weiß ich, was ich mit meinen Mädels in New York machen soll?“

Ein frisch gestylter Alexander betrat das Wohnzimmer. Der Ärger schien inzwischen wieder verraucht zu sein, denn er schenkte seiner Freundin nun wieder ein Lächeln.

„Meine Schwester kommt doch mit“, sagte er, als sei das völlig selbstverständlich, dann überlegte er kurz, „Ach ja, stimmt. Das hatte ich vergessen zu erwähnen.“

„Katharina kommt auch mit?“, Caro sah ihn freudestrahlend an, „Das wird ja immer besser.“

„Oh, und was mir in dem Zusammenhang auch gerade einfällt…“, er griff in die Innentasche seines Jacketts und zum Vorschein kam ein Flugticket, „Dein Flug geht bereits heute Abend“

„Heute! Heute Abend?“, wiederholte Caro ungläubig.

„Ja. Eigentlich sollten Nadja und Tamara auch schon direkt mitkommen. Ich hätte Nadja auch frei gegeben, aber sie bestand darauf, ihr Projekt noch in diesem Jahr abzuschließen. Und Tamara hat wohl erst ab morgen einen Hundesitter. Katharina hat aber Zeit. Also dachte ich, es sei ganz nett für euch, wenn ihr zwei vorher ausgiebig shoppen geht. Wir anderen kommen am nächsten Tag am frühen Abend an.“

„Schatz, du bist großartig“, sie stand auf und gab ihm einen Schmatzer auf die Wange, dann sah sie hoch zu seinen Haaren, „Und sorry wegen eben.“

„Ist schon gut. Ich muss nun dringend los. Wahrscheinlich werden wir uns dann heute nicht mehr sehen. Habt einen guten Flug und melde dich, wenn ihr angekommen seid, ja?“, Alexander gab Caro noch einen flüchtigen Abschiedskuss und machte sich anschließend auf den Weg.

Noch immer verdutzt, hielt Caro ihr Flugticket mit beiden Händen vor sich. In etwa vierundzwanzig Stunden wäre sie bereits in Amerika. So richtig glauben konnte sie das nicht. Wie oft hatte sie sich als kleines Kind zusammen mit ihrer Uroma vorgestellt, irgendwann gemeinsam nach Amerika zu reisen. Sie hatten sich dann die Küchenstühle nebeneinandergestellt und so getan, als würde sie im Flugzeug sitzen. Damals stand für Caro völlig außer Frage, dass sie, wenn sie groß war, diese Reise mit ihrer geliebten Omi antreten würde. Sie war zu klein, um zu bedenken, dass die damals Neunundsechzigjährige dann viel zu alt sein würde. Omi Mira war inzwischen neunundachtzig. Caro war froh, dass sie geistig noch gut beieinander war. Sie vergaß manchmal, wo sie ihre Brille hatte liegen lassen. Aber das passierte Caros Mutter mindestens genauso oft. Körperlich stand es um ihre Uroma allerdings nicht mehr ganz so zum Besten. Laufen konnte sie nur noch mit Unterstützung, aber das war für eine Frau in dem Alter schließlich nicht ungewöhnlich. Caro ließ es lange Klingeln. Das kannte sie schon. Sie stellte sich vor, wie ihre Omi gerade mit ihrem Rollator auf das schellende Telefon zusteuerte. Dann hob sie ab.

„Frohmann?“, erklang die Stimme der alten Dame.

„Omi, ich bin`s, Caro“, rief sie laut in den Hörer.

„Caro, wie schön“, freute sich die alte Dame, „Wir haben gerade von dir gesprochen. Margot ist gerade zu Besuch, musst du wissen.“

Margot war Caros Oma. Auch zu ihr hatte Caro ein gutes Verhältnis, jedoch stand sie Uroma Mira näher.

„Ich hoffe, ihr redet gut über mich“, scherzte Caro.

„Mein liebes Kind, was sollte es je Schlechtes über dich zu sagen geben?“, lachte Omi Mira.

„Ich will dich nicht lange stören. Aber es gibt tolle Neuigkeiten. Ich fliege noch heute nach New York. Kannst du das glauben?“, Caros Stimme überschlug sich beinahe.

„Das ist ja großartig. Ich freue mich sehr für dich, Kind. Schickst du mir eine Postkarte?“, wollte Omi Mira wissen.

„Aber natürlich. Und ich besuche dich, sobald ich zurück bin und dann werde ich dir alles erzählen. Ok?“

„Und dazu trinken wir Kaffee und essen einen Donut. So nennt man es doch, oder?“, fragte Caros Oma. Caro lachte: „Ja Omi, ich bringe dann welche mit. So, ich muss gleich mal meinen Koffer packen. Grüß Oma Margot von mir.“

„Das werde ich. Mach es gut, Kind. Habe einen schönen Flug“, Omi Mira verabschiedete ihre Urenkelin und sie legten auf. Bevor sie sich um den Koffer kümmerte, wollte sie erstmal Alexanders Schwester Katharina anrufen. Auch sie hatte Caro gegenüber kein Sterbenswörtchen verraten und das, obwohl sie gestern noch gemeinsam bei Caros zukünftigen Schwiegereltern bei Kaffee und Kuchen gesessen hatten.

„Er hat es dir gesagt, richtig?“, tönte Katharinas freudig klingende Stimme aus dem Hörer.

„Verraten? Was?“, flunkerte Caro grinsend. Den Spaß musste sie sich einfach gönnen.

„Ähem. Also, Alex, hat er nicht…?“, stammelte Katharina nun. Caro brach daraufhin in schallendes Gelächter aus und erntete von Katharina einige halbernst gemeinte Flüche.

„Ok, das habe ich wohl verdient“, gab Katharina zu, nachdem sich beide wieder einigermaßen eingekriegt hatten, „Ich jedenfalls freue mich auf diesen kleinen Trip mit meiner zukünftigen Schwägerin.“

„Oh, und ich erst. Ich bin noch immer ganz überrumpelt. Vermutlich sollte ich bald mal mit Kofferpacken beginnen“, überlegte Caro.

„Das habe ich schon erledigt. Ich muss allerdings meinen lieben Sohnemann nach dem Schwimmen noch zu seinem Vater bringen. Bei Papa ist es ja eh viel cooler, wenn er an Silvester die großen Böller anzündet. Aber mir soll es in dem Fall recht sein. Ich kann danach, wenn du magst, schon zu dir kommen“, schlug Katharina vor.

„Das klingt prima“, fand Caro, „Dann sehen wir uns gleich“

Als Katharina eintraf, war es bereits früher Nachmittag. Caro hatte die Zeit genutzt und ihre wichtigsten Habseligkeiten im Koffer verstaut. Kurzzeitig war sie in eine mittelschwere Panik verfallen, weil sich ihr Reisepass nicht an der erwarteten Stelle befand und sie bereits im Begriff war, die halbe Wohnung auf Links zu drehen. Bis ihr dann einfiel, dass sich dieser noch von ihrer letzten Reise im Rucksack, in einem kleinen Zwischenfach, befand. Wäre Alexander gerade zuhause gewesen, hätte sie sich wieder einen Vortrag über Ordnung und über das ordentliche Wegsortieren wichtiger Unterlagen anhören müssen. Denn auch da könnten die beiden nicht verschiedener sein. Alex hasste Unordnung, insbesondere wichtige Dokumente gehörten alphabetisch sortiert in einen Ordner, fand er. Caro widersprach ihm da ja auch gar nicht, aber sie tat es schlicht nicht wie er. Sie hatte eine eigene Art von Ordnung. Briefe und alles, was sonst aus Papier war und nicht in den Müll gehörte, kamen in eine Kiste. Fertig. Die Kiste hatte Alexander ihr vor zwei Jahren geschenkt, als eine Art Arrangement zwischen ihnen. Denn vor der Anschaffung der Kiste verteilte Caro ihre Papiere in der gesamten Wohnung, was Alexander beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte. Also existierte seither diese Kiste. Aber wie sich Caro eingestehen musste, nutzte sie diese eben trotzdem nicht immer in aller Konsequenz.

„Hast du alles zusammen?“, erkundigte sich Katharina, die Caro dabei zusah, wie sie das Chaos, das während der Reisepasssuche entstanden war, wieder zu beseitigen.

„Ja, ich denke schon. Und falls nicht, dann sind wir ja dort am richtigen Ort. Vermutlich gibt es nichts, was man in New York nicht kaufen kann“, nahm Caro an.

„Da hast du völlig Recht. Ich war ja schon oft in New York und bislang habe ich immer gefunden, was ich gesucht habe. Allerdings bin ich nicht jedes Mal zum Shoppen da“, erwiderte Katharina.

„Diesmal aber schon. Wobei, ganz stimmt das nicht. Shoppen, Sightseeing und Party“, lachte Caro.

„Ja, ich habe mir schon ein paar schöne Stationen für unsere Tour überlegt“, grinste Katharina. Sie sah auf die Uhr: „Oh, langsam sollten wir uns auf den Weg machen. Ich schlage vor, zum Flughafen nehmen wir ein Taxi, ok?“



2. Kapitel

Der Flieger setzte sich pünktlich um neunzehn Uhr dreißig deutscher Ortszeit in Bewegung. Auf Caros Monitor wurde eine voraussichtliche Ankunftszeit von einundzwanzig Uhr Ortszeit angegeben. Die Nacht würde also mit ihnen reisen. Um diese Jahreszeit machte das kaum einen Unterschied, denn in der Zeit um den Jahreswechsel, ließ sich das Tageslicht ohnehin kaum blicken. In zwei Tagen würde ein neues Jahr anbrechen. Caro griff gedankenverloren nach dem Ring, den sie seit dem Sommerurlaub an ihrer linken Hand trug. Trotz des spärlichen Lichts funkelte ihr der kleine Diamant verheißungsvoll entgegen und gab einen Ausblick auf das bevorstehende Ereignis im kommenden Jahr. Alexanders Antrag kam unerwartet. Zwar hatten die beiden immer Mal wieder über ihre Zukunft gesprochen, hatten geklärt, dass sie sich beide Kinder wünschten, vielleicht irgendwo auf dem Land leben wollten. Dass aber Alexander so schnell Nägel mit Köpfen machen würde, hatte Caro doch überrascht. Zumal ihm, was Frauen anbelangte, kein ganz so vertrauenswürdiger Ruf vorauseilte. Lebemann oder Partylöwe waren Bezeichnungen, die mit ihm, auch unter seinen Angestellten, in Verbindung gebracht wurden. Deshalb war Caro zuerst nicht auf seine Avancen eingegangen, was ihn aber besonders beeindruckt und zusätzlich motiviert hatte, ihr Herz zu erobern. Erst im Anschluss an das sechsmonatige Praktikum hatte sie sich auf eine Verabredung mit ihm eingelassen. Er war charmant, galant und gut situiert, womit er die damals Dreiundzwanzigjährige durchaus beeindrucken konnte. Mit ihm an ihrer Seite hatte sie sich das erste Mal so richtig erwachsen gefühlt. Die Jungs, mit denen sie davor ausgegangen war, konnten mit Alexander einfach nicht mithalten. Hals über Kopf hatte sie sich dann doch in ihn verliebt. Und in der Phase maximaler Verliebtheit hatte er sie überredet, bei ihm einzuziehen, weil das eine sinnvolle Entscheidung war und natürlich auch, weil er sie gerne bei sich haben wollte. So oder so hätte Caro nach dem Praktikum ihr Kunstgeschichtsstudium wieder aufgenommen, denn ein Job mit Zahlen, das hatte das Praktikum gezeigt, war dann doch nichts für sie. Alexander bot ihr zudem ein sehr komfortables Leben, was sie zu schätzen wusste, aber nicht ausnutzte. Sie jobbte nach wie vor stundenweise in einem kleinen Bioladen und beglich damit alle eigenen Rechnungen. Alexander passte das nicht, er wollte, dass sie sich voll und ganz auf ihr Studium konzentrierte. Das Geld war wohl der größte Streitpunkt zwischen ihnen. Er hatte sich vehement dagegen gewehrt von Caro Miete anzunehmen. Ihm gehörte die Wohnung und er fand es falsch, dafür Geld von seiner Freundin zu nehmen. Am Ende hatte er sich durchgesetzt, allerdings führte sie seither ein heimliches Konto, auf das sie trotzdem jeden Monat eine Art Miete einzahlte. Sicher ist sicher. Die Reise konnte Caro aber als Geschenk durchaus annehmen. Sie wusste, dass er ihr damit eine Freude machen wollte und somit ebenfalls etwas davon hatte. Und so saß sie nun voller Vorfreude an der Seite seiner Schwester im Flieger nach New York.

„Caro, wir landen“, hörte sie Katharinas Stimme an ihrem Ohr. Caro schlug die Augen auf.

„Ist es schon soweit? Ich bin doch nur kurz eingedöst“, erwiderte sie mit einem herzhaften Gähnen.

„Ja stimmt. Kurz im Sinne von vier Stunden“, kicherte Katharina.

„Ach verdammt. Ich wollte doch durchhalten, damit ich nachher schlafen kann“, ärgerte sich Caro.

„Keine Sorge, wir gehen noch in eine schöne Kneipe, trinken noch ein oder zwei Gläser und anschließend schlafen wir wie die Murmeltiere“, versprach Katharina.

Der Flieger landete sanft und pünktlich auf der Landebahn des John F. Kennedy Flughafens und rollte nun behäbig auf das Gate zu. Als der Flieger seine Halteposition erreicht hatte, begann der Trubel und das Ergattern der eigenen Habseligkeiten aus den Gepäckfächern, um anschließend möglichst zügig das Kofferband zu erreichen.

„Wo kommen wir eigentlich unter?“, Caro hatte sich die Frage bislang gar nicht gestellt.

„Alex hat Zimmer im Marriott gebucht. Direkt am Central Park, der alte Angeber“, grinste Katharina, die gerade ihren Koffer vom Gepäckband schnappte.

„Wow. Wenn er so weitermacht, heirate ich eine arme Kirchenmaus“, lachte Caro, „Mir gefällt die Idee, ihn ausnahmsweise durchfüttern zu können“

Nachdem sie ihr Gepäck beisammen hatten, bestiegen sie eines der gelben Taxis, wie sie typischerweise in New York herumfuhren. Caro grinste wie ein Honigkuchenpferd, denn sie kam sich ein bisschen wie in ihrem eigenen Hollywoodstreifen vor. Überhaupt kam ihr das alles gar nicht real vor. Staunend blickte sie aus der Seitenscheibe und sog die neuen Eindrücke in sich auf. Um diese Jahreszeit leuchte die Stadt durch die vielen Lichterketten heller als zu jeder anderen Jahreszeit und Caro war erleichtert, dass es sich, zumindest im Moment, wirklich genauso anfühlte, wie sie es erhofft hatte.

„Das ist wirklich alles so aufregend“, Caro trommelte begeistert auf Katharinas rechtem Oberschenkel. Katharina erfreute sich an Caros Begeisterung und schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln.

„Und ich habe später sogar noch eine Überraschung für dich. Ich hoffe es jedenfalls“, murmelte Katharina geheimnisvoll.

„Tatsächlich? Was denn?“, hakte Caro nach.

„Dann ist es aber doch keine Überraschung mehr“, Katharina legte einen Finger über ihren Mund.

„Ach komm schon, wenigstens einen Hinweis?“, bettelte Caro nun.

„Na schön. Wenn ich dich raten ließe, würdest du niemals darauf kommen. Aber du erkennst die Überraschung, wenn du sie siehst“, Katharina musste bei ihrer eigenen Umschreibung schmunzeln. Und ihre Mundwinkel schoben sich ein weiteres Stück nach oben als sie in das fragende Gesicht von Caro blickte.

„Ok, vielleicht frage ich besser nicht weiter nach. Ich hoffe nur, dass du mich nicht in eine Karaokebar zwingst. Du weißt, ich kann ganze Hallen leer singen. Erinnere dich an das gemeinsame Weihnachtssingen von vor ein paar Tagen“, Caro hob ermahnend den Zeigefinger.

„Daran musst du mich nicht erinnern. Ich bin immer noch erstaunt, dass es die Weingläser überlebt haben“, lachte Katharina, „aber von unserer Gesangskunst stehen wir beide uns wohl in nichts nach“

Das Taxi kam vor dem imposanten Eingangsbereich des Marriotts zum Stehen. Der Taxifahrer stieg mit den beiden Frauen aus und half ihnen, das Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven. Anschließend drückte Katharina ihm ein paar Scheine in die Hand und die Frauen bedankten sich für die Fahrt. Im Hotel nahm sie sofort ein Concierge in Empfang und begleitete sie, nach dem Einchecken, zu ihren Zimmern. Caro, die Katharina alles Nötige regeln ließ, blickte sich derweil in der noblen Unterkunft um und fand, dass Alexander es wirklich ein wenig übertrieben hatte. Natürlich war das alles sehr eindrucksvoll, aber insgeheim hatte sie auf etwas Heimeligeres, Individuelleres gehofft.

„Ich schlage vor, wir machen uns ein wenig frisch und suchen danach irgendwo was Leckeres zu Essen, bevor wir zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Was meinst du?“, fragte Katharina, nachdem der Concierge verschwunden war.

„Ok. Ich werde schnell duschen und Alexander Bescheid geben, dass wir gut angekommen sind. Gib mir eine halbe Stunde“, erwiderte Caro.

Die heiße Dusche tat Caro gut. Eigentlich hatte sie sich bis zur Ankunft am Hotel relativ fit gefühlt, doch das warme Wasser ließ sie die Anstrengung der langen Reise spüren. Sie war jedoch nicht hergekommen, um jetzt in einem völlig überteuerten Hotel ihre Zeit mit Schlafen zu vergeuden. Mit einem umgewickelten Handtuch trat sie aus dem Bad heraus, nahm sich ihr Handy und wählte Alexanders Nummer. Es klingelte mehrmals, während sie von oben auf den laternenbeleuchteten Central Park blickte. Dann nahm Alexander ab.

„Schatz, seid ihr gut angekommen?“, ertönte Alexanders schlaftrunkene Stimme.

„Ja, gerade eben. Und du hast es mit dem Hotel maßlos übertrieben“, rüffelte sie ihren Freund, der mit sowas wohl schon gerechnet hatte, denn sie hörte ihn am anderen Ende lachen.

„Wusstest du, dass sogar schon Franklin Roosevelt und Richard Nixon dort übernachtet haben? Auch Bob Marley hatte sich dort häufig eingemietet. Ist das nicht irgendwie cool?“, wollte Alexander von ihr wissen.

„Ja, ok. Das ist wirklich ziemlich cool“, musste Caro zugeben. Und dennoch.

„Hör mal, ich muss auch schon wieder auflegen. Ich gehe mit deiner Schwester gleich noch was essen“, Caro hatte auf die Uhr geblickt und festgestellt, dass sie im Bad bereits zwanzig Minuten vertrödelt hatte.

„Euch viel Vergnügen. Und feiert heute nicht zu heftig. Denk dran, morgen erst beginnt der eigentliche Spaß“, die beiden verabschiedeten sich und legten auf. Caro schlüpfte schnell in ihr Outfit, das sie sich schon zurechtgelegt hatte, richtete schnell ihre kurzen, blonden Haare und legte etwas Make-up auf. Sie griff gerade nach ihrem Mantel und ihrer Handtasche, da klopfte es bereits.

„Ich komme“, rief sie und eilte an die Tür.

„Ah, siehst gut aus“, merkte Katharina an.

„Du auch. So können wir uns in der Stadt der Städte sehen lassen“, fand Caro.

„Dann mal los“.

Gestärkt hatten sie sich in einem veganen Restaurant, ganz in der Nähe des Hotels. Wenn Caro schon mal die Chance hatte, in ein fleischloses Restaurant zu gehen, hatte sie die Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollen. Selbst Katharina war von den Speisen ganz begeistert, obwohl auch sie einem Steak meistens den Vorzug gab.

„Danke, dass du mich dazu überredet hast. Ich glaube, ich werde dieses Restaurant in meine Top fünf Liste aufnehmen“, merkte Katharina auf dem Weg zu der Kneipe an.

„Gern geschehen. Wer weiß, was ich hier in New York noch so alles entdecken werde“, grinste Caro.

„Komm, ab hier nehmen wir die U-Bahn“, Katharina deutete auf das blaue Schild, das neben einer in den Untergrund führenden Treppe aufgebaut war. Katharina schien sich in New York sehr gut zurecht zu finden, deshalb überließ Caro ihr die Führung und beschäftigte sich lieber mit den vielen so unterschiedlich aussehenden Menschen, die sie an jeder Ecke entdeckte. Obwohl Frankfurt auch als internationale Stadt galt, wirkte sie im Vergleich zu New York doch eher farblos, ja beinahe bieder. Sie fragte sich, ob sie hier leben könnte und bislang stand der Zeiger eindeutig auf ja. Das stimmte zwar so überhaupt nicht mit ihren Zukunftsplänen überein, aber ihre Gedanken waren ja auch nur rein hypothetisch und ganz und gar nicht realistisch. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt kündigte Katharina an, bei der nächsten Station aussteigen zu müssen. Mit ihnen verließen eine ganze Reihe an Menschen die U-Bahn und Caro hatte schon jetzt keinerlei Orientierung mehr.

„Ist nicht mehr weit. Noch zwei Straßen, dann sind wir da.“, erklärte Katharina fröhlich.

„Das muss eine echt tolle Kneipe sein, wenn wir eine solche Anfahrt in Kauf nehmen“, merkte Caro skeptisch an.

„Na, es ist eine Mischung zwischen Kneipe und Club, du wirst schon sehen“, druckste Katharina.

„Ein Club? Gehen wir jetzt tanzen? Ich dachte, wir gehen morgen…“, wollte Caro fragen, als sie von Katharina unterbrochen wurde.

„Keine Sorge, heute wird nicht getanzt. Wir sind aus einem anderen Grund hier. Übrigens sind wir da“, sie deutete auf die Schrift oberhalb der Eingangstür.

„Olivia O’Sullivan bar & girl“ stand mit großen Buchstaben auf einer roten Markise. Ansonsten wirkte die Bar von außen recht unscheinbar. Ein Blick durch die großen Fenster verriet, dass der Laden bereits ziemlich gut besucht, um nicht zu sagen, proppenvoll war. Noch immer konnte Caro nicht nachvollziehen, warum Katharina sie ausgerechnet in einen überfüllten Schuppen, fernab von ihrem Hotel, geschleppt hatte. Bloß um sich dort ein Feierabendbierchen zu gönnen. Doch sie erinnerte sich an die ausstehende Überraschung, über die sich Katharina beinahe mehr zu freuen schien, als Caro.

„Also hinein mit dir“, Katharina ließ Caro den Vortritt. Neben dröhnender Musik strömte ihr stickige, alkoholgeschwängerte Luft entgegen. Paradoxerweise veranlasste sie das nicht zur Flucht, sondern steigerte eher das Verlangen nach einem kühlen, alkoholischen Getränk. Allerdings hätten sie es sich in ihrer Vorstellung lieber in einer kleinen, ungestörten Nische gemütlich gemacht. An einen freien Sitzplatz war hier nicht ansatzweise zu denken. Die wenigen Stühle und Bänke hatten sich die ersten Gäste wahrscheinlich schon vor Stunden unter den Nagel gerissen und hüteten sie jetzt wie ihre eigene Brut. Als sich Caro bewusster umsah fiel ihr auf, dass hier beinahe nur Frauen zu sehen waren. Nein, genau genommen konnte sie keinen einzigen Mann ausmachen.

„Sag mal, Katharina. Sind wir hier in einer Lesbenbar?“, rief sie Katharina gerade nur so laut ins Ohr, dass nur sie Caro hören konnte. Katharina lachte belustigt auf.

„Ja, das hast du sehr scharfsinnig erkannt“, antwortete sie. Caro stutzte, denn sie verstand nun überhaupt nicht mehr, was sie in dieser Bar wollten. Dann kam ihr ein unerwarteter Gedanke, bei dem sie Katharina genau musterte. Diese registrierte ihren prüfenden Blick im Augenwinkel und sah sie nun fragend an: „Was?“

„Sind wir hier, weil du…ich meine bist du…?“, murmelte Caro verwirrt.

„Ich?“, Katharina musste herzhaft lachen, „Nein. Schön wärs. Dann wäre mir vielleicht mein blöder Exmann erspart geblieben.“

Katharina drückte sich zielgerichtet weiter durch die Menge. Caro folgte ihr, ohne so recht zu wissen, was ihr Ziel eigentlich war.

„Ah, da ist ja unser Tisch“, Katharina machte eine Kopfbewegung, die Caros Blick auf einen leeren Tisch direkt neben der Bar lenkte. Warum mieden die Gäste ausgerechnet diesen Tisch? Irgendwas konnte mit dieser Sitzmöglichkeit nicht stimmen. Anders konnte sich Caro nicht erklären, warum es niemand wagte, ihn in Beschlag zu nehmen. Als sie sich ihm näherten, fand Caro ihre Erklärung in Form eines kleinen Tischaufstellers auf dem „Reserviert für VIP-Gäste“ geschrieben stand.

„Bist du sicher, dass wir damit gemeint sind?“, Caro nahm nur zögerlich Platz. Katharina hingegen ließ keinen Zweifel aufkommen und schob das Schild selbstsicher zur Seite. Dann blickte sie sich suchend um, fand aber offenbar nicht, wonach sie Ausschau hielt. Schulterzuckend wandte sie sich also wieder Caro zu, die allmählich ungeduldig wurde.

„Nun rück schon mit der Sprache raus. Was wollen wir hier?“, wollte sie endlich wissen.

„Gedulde dich noch einen Moment“, versuchte Katharina sie zu beschwichtigen. Sie nahm ihr Handy zur Hand und tippte eine kurze Nachricht ein.

„Soll ich wenigstens mal was zu trinken holen? Mein Hals ist schon ganz trocken“, schlug Caro vor.

„Oh, ich glaube, das wird nicht nötig sein. Da kommt schon unsere Bedienung“, grinste Katharina und blickte über Caros Schulter hinweg. Caro folgte unwillkürlich ihrem Blick und was sie nun sah, ließ sie vor Schreck beinahe erstarren. Sie sah Alexander. Nein, nicht Alexander, eher eine Alexandra. Caro musste ein paar Mal blinzeln, denn sie war sich nicht sicher, ob ihre Augen ihr einen Streich spielten. Die Frau, die geradewegs auf ihren Tisch zuhielt, trug pechschwarze, kurze Haare und hatte saphirblaue Augen, die von kleinen Lachfältchen umspielt wurden. Es war unfassbar, wie sehr sie die Frau an ihren Verlobten erinnerte. Eine der wesentlichen Abweichungen waren allerdings die weiblichen, vollen Lippen, die sich deutlich von Alexanders eher schmaleren Lippen unterschieden. Und ein weiteres unübersehbares Merkmal ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hier eindeutig nicht um Alexander handelte. Die schlanke Frau war von ihren Handgelenken bis zu ihrem Hals nahtlos verziert mit bunten Tattoos. Caro vermutete, dass die Tätowiernadel auch nicht vor ihren restlichen Körperteilen Halt gemacht hatte, doch mehr Haut gab ihr Outfit gerade nicht Preis. Meistens gefielen ihr flächendeckende Tätowierungen nicht sonderlich. Insbesondere, wenn die Motive und Bilder wild und ohne Konzept zusammengewürfelt waren. Aber die Tätowierungen der Unbekannten wirkten ästhetisch und durchdacht. Dieses Gesamtkunstwerk unterstrich das besondere Aussehen der hübschen Frau. Ihr makelloses Gesicht hatte sie allerdings unberührt gelassen. Was, wie Caro fand, eine überaus gute Entscheidung war.

„Darf ich euch einander vorstellen? Elisabeth, das ist Caro, Alexanders Verlobte“, Katharina deutete mit einer Geste auf Caro, „Und Elisabeth ist, wie du es sicherlich schon erkannt hast, unsere Schwester“

Caro wusste, dass Alexander eine zweite Schwester hatte. Auch, dass sie in Amerika wohnte, hatte Caro mal bei einem Gespräch zwischen Alexanders Eltern aufgeschnappt. Alexander ließ allerdings nie ein Wort über sie fallen. Sie war für ihn ein Tabuthema. Niemand, nicht mal Katharina, sprach in seiner Gegenwart über Elisabeth.

„Nenn mich einfach Liz“, mit einem strahlenden Lächeln, das ihre Lachfältchen deutlich betonte, streckte sie Caro ihre Hand entgegen. Caro erhob sich von ihrer Sitzbank und griff nach Liz‘ Hand: „Freut mich sehr, dich endlich mal kennenzulernen“

„Oh, dann hat Alexander tatsächlich meine Existenz nicht verschwiegen?“, sie klang ehrlich überrascht, Caro vernahm dabei aber keinerlei Groll in ihrer Stimme. Scheinbar ging der Kontaktabbruch weniger von Liz‘, sondern vielmehr von Alexander aus. Es wäre wirklich interessant zu erfahren, was zwischen ihnen vorgefallen war. Aber vielleicht würde das Caro ja bald schon herausfinden.

„Sagen wir es so, ich wusste, dass es da noch eine Schwester gibt“, versuchte Caro möglichst diplomatisch zu antworten. Liz nahm das nickend zur Kenntnis und begrüßte nun ihre Schwester.

„Hallo Schwesterherz, es ist schön, dich wieder mal hier zu haben“, die beiden Frauen umarmten sich herzlich und gaben sich einen dicken Schmatzer auf die Wange. Sie wirkten sehr vertraut miteinander und Caro konnte sich gerade keinen Grund vorstellen, warum man diese sympathische Frau aus seinem Leben ausschließen wollte.

„Was darf ich euch zu trinken bringen? Bier, Wein oder vielleicht einen Cocktail?“, bot Liz an.

„Och, gegen einen Cocktail habe ich nichts einzuwenden“, grinste Caro begeistert.

„Ich auch nicht. Dann nehmen wir doch deinen berühmten LuckyLizzy“, schlug Katharina vor. Caro stimmte schulterzuckend zu und vertraute einfach darauf, dass es sich dabei um ein Getränk nach ihrem Geschmack handelte. Liz‘ verließ die beiden und machte sich auf den Weg zur Theke.

„Das ist also eure Schwester“, Caro sah Liz‘ gedankenverloren hinterher, während sie zu Katharina sprach, „Wow.“

„Wow?“, hakte Katharina nach.

„Ähm, ja. Sie sieht…also für eine Frau ist sie……echt schön, oder nicht?“, schwärmte Caro, ohne über ihre Worte nachzudenken.

„Hörst du dir gerade zu?“, Katharina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, „Für eine Frau ist sie schön? Was soll das heißen? Dass Frauen üblicherweise hässlich sind, oder wie? Danke für die Blumen“

„Nein, natürlich nicht. So meine ich das nicht. Ich meine…also…“, nun fiel Caro auf, dass sie tatsächlich nicht genau wusste, wie sie es meinte, „Naja, du weißt schon. Ich achte halt sonst nicht auf diese Weise darauf.“

„Diese Weise, so, so“, murmelte Katharina und musterte Caro skeptisch, „Lass das bloß nicht Alexander hören.“

Bevor Caro darauf reagieren konnte, tauchte Liz bereits mit den Getränken auf. In den bauchigen Gläsern befanden sich diverse Flüssigkeiten, die sich regenbogenfarbig übereinander schichteten. Die Übergänge waren dabei so klar voneinander abgetrennt, dass der Cocktail beinahe unecht wirkte und bei Instagram wahrscheinlich als Fake durchgefallen wäre.

„Das ist ja ein wahres Kunstwerk. Ich traue mich gar nicht, ihn zu trinken“, Caro betrachtete das Getränk noch immer ganz fasziniert von allen Seiten.

„Trau dich ruhig. Wie ich gehört habe, traust du dich in ein paar Wochen noch was ganz anderes“, spielte Liz auf die bevorstehende Hochzeit an. Die Hochzeit. Für einen Moment hatte Caro vergessen, warum sie eigentlich hier in New York war. Das Leben als ungebundene Frau würde sie schon bald und endgültig an den Nagel hängen. Alexander würde der letzte Mann in ihrem Leben sein, bis dass der Tod die beiden schiede. Für einen kurzen Augenblick kam ihr dieser Gedanke schrecklich beängstigend vor. Wollte sie das? Jetzt schon? Sie atmete einmal tief durch und schüttelte den verwirrenden Gedanken ab. Sie zog an ihrem Strohhalm und nahm einen großen Zug ihres Getränks. Liz, die mittlerweile neben Caro Platz genommen hatte, sah sie erwartungsvoll an: „Und? Hält der Geschmack, was die Optik verspricht?“

Caro sah sie irritiert an, bis sie begriff, dass Liz den Cocktail gemeint hatte. Irgendwie fühlte sich Caro durch Liz‘ selbstbewusstes Auftreten verunsichert. Sie hatte so eine gewisse Ausstrahlung, wie Caro es bislang selten erlebt hatte. Alexander besaß ebenfalls dieses Charisma, an dem man automatisch haften blieb. Aber selbst er hatte sie bei ihrem ersten Kennenlernen nicht derart verunsichert.

„Der Cocktail schmeckt großartig“, Caro nahm durch den Strohhalm einen weiteren geräuschvollen Zug zur Bestätigung.

„Und ihr habt schon ein Hotel gefunden, oder darf ich euch zu mir einladen?“, richtete Liz ihre Frage nun an beide.

„Alexander hat uns, großzügig wie er nun mal ist, ein bescheidenes Zimmer im Marriott gebucht“, erklärte Katharina mit einem ironischen Unterton. Liz nickte nur, ging aber auf die Stichelei gegen ihren Bruder nicht ein. Caro musste sich eingestehen, dass sie zu gern Liz` Wohnung in Augenschein genommen und dafür auf das Hotelzimmer verzichtet hätte. Ein Mensch, der so viel Wert auf Körperästetik legte, hatte bestimmt auch eine interessante Wohnung.

„Wie läuft das Studio? Seid ihr mit dem Umbau schon fertig?“, erkundigte sich Katharina. Dann fiel ihr auf, dass Caro über zu wenig Informationen verfügte, um dem Gespräch folgen zu können: „Liz besitzt ein Tattoo Studio im East Village und ist, auch wenn sie das selbst so nicht sieht, inzwischen ein richtiger Star in der Szene.“

Liz winkte bescheiden ab, aber Caro war sich sicher, dass Katharina nicht übertrieb. Sie hatte zwar nicht besonders viel Ahnung von dieser Art von Körperkunst, aber ihr waren Liz‘ Kunstwerke ja bereits aufgefallen, bevor sie wusste, dass sie damit sogar ihr Geld verdiente.

„Der Umbau ist so gut wie abgeschlossen. Anfang Januar wird die Wiedereröffnung, wie geplant, stattfinden können. Aber hätte ich vorher gewusst, worauf ich mich einlasse, hätte ich den Laden so gelassen, wie er war“, antwortete Liz und griff sich dabei an die Stirn.

„Das glaube ich dir. Aber bist du mit dem Ergebnis zufrieden?“, wollte Katharina wissen.

„Absolut. Wenn ihr wollt, dann kann ich euch den Laden noch zeigen“, schlug Liz vor, „Also, falls ihr von dem Flug nicht allzu müde seid.“

„Was meinst du dazu?“, überließ Katharina Caro die Entscheidung.

„Ja, auf jeden Fall“, kam es ihr, zu ihrer eigenen Überraschung, ein wenig zu enthusiastisch über die Lippen.

„Prima“, freute sich Liz, „Dann überlasse ich euch erstmal wieder euren Cocktails. Ich muss mit Jenny noch etwas besprechen. Gebt mir Signal, wenn ihr aufbrechen wollt.“

Liz erhob sich und bahnte sich nun ihren Weg durch die inzwischen tanzende Menge. Caro sah ihr nach, bevor Liz schließlich im Getümmel verschwunden war.

„Das ist also Alexanders zweite Schwester“, sprach Caro ihren Gedanken laut aus.

„Ja, kaum zu glauben, oder? Obwohl sie sich so ähnlich sehen, sind sie ansonsten grundverschieden“, erwiderte Katharina.

„Warum reden die beiden nicht mehr miteinander?“, Caro wusste, dass Katharina nicht gern darüber sprechen würde, aber sie wollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Katharina seufzte schwer. Ihr ging das Thema ganz offensichtlich nahe und in ihrem Blick spiegelte sich Ratlosigkeit wider.

„Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht so genau. Sowohl Liz, als auch Alex reden mit niemanden in der Familie darüber. Es gibt da wohl mehrere Streitpunkte zwischen ihnen. Dabei waren die beiden vorher immer ein Herz und eine Seele. Ich erinnere mich aber, dass Liz unmittelbar nach dem Streit nach New York abgehauen ist. Das war vor ungefähr fünf Jahren“, berichtete Katharina.

Es können keine Kleinigkeiten gewesen sein, die die Geschwister entzweit hatten. Soviel stand also fest. Alexander war an sich kein besonders streitsüchtiger Mensch, allerdings konnte er eine Sturheit an den Tag legen, gegen die auch Caro keine Chance hatte. Da sie selbst ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Harmonie hatte, lenkte Caro bei ihren Streitigkeiten häufig zuerst ein. Ihr machte das nichts aus, denn sie wusste, dass ihr Konflikt Alexander schon während des Streits leidtat, er aber nicht über seinen Schatten springen konnte. Doch was zwischen Liz und ihm stand, war definitiv eine Nummer größer. So stur konnte selbst Alexander wegen etwaiger Kleinigkeiten nicht bleiben.

„Hat es nie einen Versöhnungsversuch gegeben?“, wollte Caro wissen.

„Oh, glaub mir. Ich habe nicht nur einmal versucht, die beiden dazu zu bringen. Liz hätte sich, wenn auch mit viel Widerstreben, darauf eingelassen. Sie wäre deshalb sogar nach Deutschland geflogen. Aber Alexander wollte davon nichts wissen“, Katharina machte die Situation zwischen ihren Geschwistern offenbar wirklich schwer zu schaffen.

„Das ist wirklich schade. Ich glaube, sie ist eine tolle Frau“, Caros Hintergedanken waren nicht uneigennützig. Liz wirkte interessant, nicht nur, weil sie Alexander optisch so sehr ähnelte. Sie war ein Teil seiner Familie und somit auch unweigerlich ein Teil von Alexander, der ihr bislang verwehrt geblieben war. Wenn allerdings ihr zukünftiger Ehemann keinen Kontakt zu seiner Schwester haben wollte, bliebe Caro der Kontakt ebenfalls versagt. Zwar ließ sie sich von ihm nicht vorschreiben, mit wem sie befreundet war, von Caros aufgedrehter Freundin Tamara war er auch nicht gerade begeistert, aber eine Freundschaft zwischen ihr und Liz könnte er sicher nicht akzeptieren. Warum machte sie sich überhaupt diese unnötigen Gedanken? Die Frau lebte hier in New York, also weit, weit weg von Caro. Vermutlich würden sich die beiden Frauen nach ihrer Reise nie wieder über den Weg laufen. Und bestimmt war sie gar nicht an einer Freundschaft mit Alexanders Angetrauter interessiert.

„Sie ist eine großartige Schwester, ja. Und ich bin froh, dass wir uns wenigstens einmal im Jahr sehen können. Meistens fliege ich zu ihr. Ganz selten kommt sie nach Deutschland“, erklärte Katharina.

„Ich nehme an, ich sollte Alex von dem Treffen besser nichts erzählen, oder?“, Caro kannte die Antwort bereits, wollte aber dennoch Katharinas Meinung hören.

„Wenn du keinen Streit vom Zaun brechen willst, dann wäre dir das anzuraten, ja. Andererseits dürfte es ihn nicht überraschen, wenn er hört, dass ich dir unsere Schwester vorgestellt habe. Er weiß schließlich, dass ich Kontakt zu Liz habe“, antwortete Katharina.

Caro hatte noch nicht entschieden, was sie Alexander sagen wollte, deshalb schwieg sie und zog stattdessen an ihrem Strohhalm. Der Cocktail war stark. Caro spürte, wie sich die alkoholgetriebene Wärme in ihrem Körper angenehm ausbreitete. Sie hätte gut noch einen zweiten vertragen, doch war sie auch neugierig auf Liz‘ Laden. Deshalb verzichtete sie auf Nachschub und teilte sich den Rest ihres Getränks ein.

„Arbeitet Liz noch nebenbei hier in der Bar?“, die Frage fand Caro naheliegend, schließlich hatte sie Zutritt zur Theke.

„Sie hat einen Anteil an der Bar. Als sie nach New York kam, hatte sie hier ihren ersten Job gefunden. Später, als sie mit ihrem eigenen Geschäft genug Geld verdient hatte und hier ein finanzieller Engpass bestand, hat sie sich eingekauft und den Laden damit über Wasser gehalten. In der Zeit ist auch ihr zu Ehren der LuckyLizzy entstanden“, erzählte Katharina.

„Ist Liz auch eine…also, ist sie auch…“, Caro wusste nicht recht, wie sie die Frage stellen sollte.

„Ob sie lesbisch ist, willst du wissen?“, Katharina amüsierte sich über Caros hilfloses Gestammel, „Ja, das ist sie. Wobei das mit ihr und den Frauen nicht so ganz einfach ist“, den letzten Satz murmelte Katharina kaum hörbar, doch Caro verstand jedes Wort und wurde hellhörig.

„Wieso, was ist denn mit den Frauen?“, hakte sie sofort nach. Katharina schien sich über ihre unachtsame Aussage zu ärgern. Offenbar ging das zu sehr in Liz` Privatsphäre.

„Ach, das ist ihre Sache. Sie ist halt ein sehr freiheitsliebender Mensch“, druckste Katharina rum.

Caro konnte nicht viel mit dieser Aussage anfangen, wagte aber nicht, ein zweites Mal nachzufragen. Liz‘ stand also auf Frauen. Caro musste zugeben, dass sie eine andere Antwort überrascht, wenn nicht sogar etwas enttäuscht hätte. Enttäuscht? Warum sollte sie es enttäuschen, wenn Alexanders Schwester auf Männer stehen würde? Der Alkohol und der Jetlag ließen ihr Gehirn scheinbar wirres Zeug denken.

„Wollen wir langsam aufbrechen?“, Katharina riss sie aus ihren Gedanken, worüber Caro ganz dankbar war.

„Ja, gern“, antwortete sie nur knapp.

„Ok, ich schau mal, ob ich Liz irgendwo entdecke. Ich wollte eh nochmal kurz zur Toilette, vielleicht laufe ich ihr ja über den Weg“, Katharina stand auf und verschwand, wie Liz zuvor, in der Menge. Da saß Caro nun, inmitten gutgelaunter, partywütiger Frauen und kam sich ein wenig fehl am Platz vor. Direkt zwei Tische weiter war wohl soeben das Feuer der spontanen Liebe ausgebrochen, denn die zwei Frauen, die sich vorhin noch ganz gesittet gegenübersaßen, als würden sie sich heute zum ersten Mal sehen, fielen gerade ungehemmt übereinander her. Caro hatte Mühe wegzusehen und sie fragte sich, wie weit sie gehen könnten, bevor sie aufgefordert wurden, sich einen anderen Ort für ihr Liebesspiel aufzusuchen. Ihr Blick wanderte weiter und sie fand es überaus faszinierend, wie unterschiedlich die Frauen hier aussahen. Es gab die sportlichen, die überaus femininen und eben auch die sehr maskulin wirkenden Frauen. Es schien aber keine Regel zu geben, nach der sie Paare bildeten. Unwillkürlich fragte sie sich, welcher Typ Frau auf sie anspringen würde. Mit ihren kurzen, blonden Haaren und dem dezenten Make-up sortierte sie sich am ehesten zu den sportlichen Frauen. Ganz sicher war sie sich über ihre Außenwirkung aber nicht. Es schien, als sollte sich ihre Frage sogleich von selbst beantworten, denn ihr zielloser Blick traf nun auf ein Augenpaar, das direkt auf Caro gerichtet war. Das dazugehörige Gesicht lächelte sie auffordernd an, was Caro völlig aus der Fassung brachte. Sie wollte wegsehen, stattdessen formten sich ihre Lippen zu einem Grinsen. Und weil sie vehement gegen dieses Grinsen ankämpfte, verformte sich ihre Mundpartie, das spürte sie, zu einer dämlichen Grimasse. Der dunkelhaarigen Frau mit dem hellen Teint gefiel scheinbar trotzdem, was sie sah, denn sie prostete Caro mit ihrem Getränk zu.

„Wie ich sehe, kostest du deine letzten Tage in Freiheit noch ausgiebig aus“, Liz war ganz unerwartet neben ihr aufgetaucht und grinste sie belustigt an. Caro wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.

„Nein, ich wollte nicht…also ich habe gar nichts…“, stotterte Caro und hätte sich für ihr wenig souveränes Verhalten ohrfeigen können. Die Frau hatte jetzt, da Liz neben Caro Platz genommen hatte, von ihr abgelassen.

„Keine Sorge. Maria flirtet einfach gern und sehr wahrscheinlich bist du hier gerade die einzige im Raum, bei der sie noch keinen Flirtversuch unternommen hat“, grinste Liz.

„Ich bin Frischfleisch!“, erkannte Caro nüchtern. Jetzt musste Liz laut auflachen: „Ganz recht. Das bist du. Sieh es einfach als Kompliment. Und man kann es ihr doch kaum verübeln. Warum sollte sie nicht probieren, mit einer attraktiven Frau in Kontakt zu kommen?“, fügte Liz lächelnd hinzu. Erneut wusste Caro nicht, was sie sagen sollte. Hatte Liz sie gerade als attraktiv bezeichnet? Und war das etwa auch ein Flirt oder einfach nur ein harmloses, nett gemeintes Kompliment? Wie dem auch sei, Caro wusste auf Liz` Aussage einfach nichts zu erwidern und starrte daher peinlich berührt auf ihr leeres Glas. Zu ihrer Erleichterung tauchte Katharina gerade wieder auf und unterbrach die Stille zwischen den beiden Frauen.

„Ah, da bist du ja“, sagte sie zu Liz, „Ich glaube, wir können los“



Du bist neugierig geworden und willst wissen, wie es weitergeht?

Mein Buch findest du bei folgenden Anbietern:

Direktlink zum Buch Silvesterkuss auf Weltbild
Direktlink zum Buch Silvesterkuss auf buecher.de

Direktlink zum Buch Silvesterkuss auf Hugendubel
Direktlink zum Buch Silvesterkuss auf Thalia
Direktlink zum Buch Silvesterkuss auf amazon
Zurück zur Buchübersicht