Leonora – Die letzte Erbin

Kurzbeschreibung:

Ein Sommerurlaub mit ihren besten Freunden. Darauf hat sich Maria bereits seit Wochen gefreut. Ihr Ex-Freund, mit dem sie mittlerweile eine Freundschaft verbindet, hat die Clique ins Ferienhaus seiner Eltern eingeladen und ihnen einen unvergesslichen Sommer versprochen. Bei strahlendem Sonnenschein erreichen sie und ihre beste Freundin Natalie die großzügige Ferienunterkunft, die direkt an dem idyllischen Waldsee gelegen ist. Der ideale Ort, um zu Entspannen und eine tolle gemeinsame Zeit zu verbringen. Als Maria am zweiten Tag im Alleingang über den See schwimmt, entdeckt sie am gegenüberliegenden Ufer eine mysteriöse Frau. Bevor Maria sie näher in Augenschein nehmen kann, ist sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Ab diesen Moment drehen sich sämtliche Gedanken um die geheimnisvolle Unbekannte. Maria muss unbedingt herausfinden, ob sie tatsächlich existiert oder Maria sie sich nur eingebildet hat. Als sie der Frau tatsächlich begegnet, muss Maria nicht nur feststellen, dass sie sich unglaublich zu ihr hingezogen fühlt, sondern, dass diese Frau auch ein großes Geheimnis in sich trägt. Schon bald vertraut sich Leonora ihr an. Doch Maria kann zuerst nicht glauben, dass diese Frau wirklich eine Hexe sein soll. Erst, als sie Leonoras Fähigkeiten mit eigenen Augen sieht, ist sie überzeugt. Schnell wird allerdings klar, dass dieses Wissen über Leonora gleichzeitig eine Gefahr mit sich bringt. Ob Maria und Leonora ihren Widersachern trotzen können?

Leseprobe

Kapitel 1

Der alte Motor des in die Jahre gekommenen Renault Clios ächzte angestrengt. Doch Maria und Natalie hörten das laute Dröhnen kaum, denn sie hatten das Autoradio bis zum Anschlag aufgedreht und grölten zu „Summer of 69“ ausgelassen um die Wette. Die Fenster hatten sie nach unten gekurbelt, denn das Thermometer in der Mittelkonsole zeigte zweiunddreißig Grad. Laut Wetterbericht der bislang wärmste Tag des Jahres. Es liefen die letzten Zeilen des Lieds, also legten sich beide noch mal so richtig ins Zeug, bevor sie anschließend in heiteres Gelächter ausbrachen.

„Endlich Urlaub“, seufzte Maria zufrieden, während sie das Radio leiser drehte.

„Oh ja, das ist jetzt auch bitter nötig“, stimmte Natalie zu. Sie bog in eine kleine Seitenstraße ein.

„Mein Chef ging mir in den letzten Tagen noch mal so richtig auf die Nerven“, fügte sie hinzu.

Maria hatte mit ihrem Chef mehr Glück. Er war äußerst beliebt, denn er war stets fair und begegnete allen Angestellten auf Augenhöhe. Er war es auch gewesen, der Maria davon überzeugt hatte, doch noch mal ihr Studium zum Betriebswirt aufzunehmen, obwohl er damit vorerst eine seine besten Mitarbeiterinnen verlieren würde. Und so kam es, dass sie einen Teil ihrer zwei Wochen Resturlaub mit ihrer besten Freundin und ihren alten Schulkameraden am See verbringen würde.

„Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, etwas vergessen zu haben“, Natalie rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her und blickte prüfend in den Rückspiegel. Die Rückbank war umgeklappt und das Gepäck türmte sich bis unter das Fahrzeugdach.

„Hast du deine Badesachen mit?“, fragte Maria.

Natalie blickte panisch auf: „Oh Gott, du hast Recht.“

Nun drehte sie sich zur Rückbank und versuchte, ihre große Reisetasche in dem Durcheinander auszumachen. Dabei geriet der Wagen leicht vom Weg ab und holperte mit zwei Reifen über die Straßenbegrenzung.

„Um Himmels Willen, Natalie“, schrie Maria entsetzt und Griff instinktiv nach dem Lenkrad. Auch Natalie bemerkte ihren Fehler und übernahm sofort wieder das Steuer.

„Tut mir leid“, sagte sie schuldbewusst.

„Ich würde meinen einundzwanzigsten Geburtstag bitte noch erleben“, ermahnte Maria sie amüsiert. Solche unüberlegten Aktionen waren wirklich typisch für ihre beste Freundin.

„Dein Geschenk“, Natalie griff sich fassungslos gegen die Stirn, „Nicht die Badesachen habe ich vergessen, sondern dein Geschenk.“

Diesmal konnte sich Maria vor Lachen kaum noch halten, denn genau für diese Schusseligkeit liebte sie Natalie.

„Das werde ich verkraften. Hauptsache du bringst uns jetzt sicher ans Ziel.“

Das versprach Natalie murrend. Sie ärgerte sich noch immer über ihre eigene Vergesslichkeit.

„Warst du eigentlich schon mal bei dieser Hütte?“, fragte Natalie.

„Nein. Thomas wollte mich damals unbedingt mitnehmen, dann aber hatten wir unseren großen Streit. Und was danach war, weißt du ja.“

Natalie nickte.

Maria und Thomas waren während der Schulzeit das Traumpaar schlechthin gewesen. Er, der coole Sportler aus reichem Hause und sie, die gut aussehende und allseits beliebte Musterschülerin. Wobei sich Maria selbst nicht so sah. Weder fühlte sie sich überdurchschnittlich attraktiv, noch war sie besonders fleißig. Thomas hingegen hatte sich in seiner Rolle sehr gefallen und er genoss es, von anderen bewundert zu werden. Er verbrachte Stunde um Stunde im Fitnessstudio, stählte seinen Körper und verbrachte mehr Zeit im Bad als Maria. Anfangs hatte sie sich nicht daran gestört, aber irgendwann langweilte sie seine Oberflächlichkeit. Und dann hatte sie Manuel kennengelernt. Das komplette Gegenteil von Thomas. Ein Punk mit bunt gefärbten Haaren, Piercing und abgewetzten Klamotten. Mit eigener Band und eigener Meinung, mit der er gern mal aneckte. Aber genau das und die Tatsache, dass er drei Jahre älter war, hatten für Maria den Reiz ausgemacht. Sich gegen die Gesellschaft auflehnen, aber dadurch frei von allen gesellschaftlichen Zwängen sein. Das war es, was Maria an ihm bewundert hatte. Er hatte sie mit zu seinen Proben genommen, wo sie ihn auf dem Boden hockend stundenlang anhimmeln konnte. Natürlich war es nicht dabei geblieben. Manuel hatte irgendwann einen Annäherungsversuch gestartet, doch Maria hatte in letzter Sekunde einen Rückzieher gemacht. Sie war noch immer mit Thomas zusammen, wenn auch nicht mehr besonders glücklich. Aber vor allem war sie nicht der Typ fürs Fremdgehen. Sie hatte bis heute nicht herausgefunden, woher Thomas von Manuel erfahren hatte. Nicht mal ihrer besten Freundin Natalie hatte sie von dem Musiker erzählt. Doch eines Tages war Thomas wutentbrannt bei ihr aufgetaucht und hatte ihr vorgeworfen, mit „diesem Punktrottel“ fremdgegangen zu sein. Maria hatte geschworen, ihn nicht hintergangen zu haben. Doch egal, welche Worte sie wählte, er hatte ihr nicht geglaubt. Der Streit eskalierte, sie hatten sich angeschrieben und kein Blatt vor den Mund genommen. Diese war für beide Seiten äußerst aufschlussreich gewesen, woraufhin sie entschieden hatten, von da an wieder getrennte Wege zu gehen. Es hatte nur kurz wehgetan, denn Maria hatte schon vorher geahnt, dass die beiden nicht füreinander bestimmt waren. Anschließend hatte absolute Funkstille zwischen den beiden geherrscht. Wenn sie sich in der Schule begegnet waren, hatten sie sich ignoriert, taten so, als würden sie sich nicht kennen. Nach dem Abitur hatten sie sich dann endgültig aus den Augen verloren, bis sie sich im Studium erneut über den Weg gelaufen waren. Inzwischen waren zwei Jahre vergangen. Maria erfuhr, dass er drei Semester im Ausland verbracht hatte und nun sein Studium an ihrer Uni fortsetzen wollte. Sie konnte dieser Neuigkeit anfangs nur mäßige Begeisterung entgegenbringen. Doch je häufiger sie sich begegnet waren, bei einem Seminar oder einer Vorlesung, desto deutlicher war ihr aufgefallen, dass Thomas sich verändert hatte. Er wirkte nun wesentlich reifer und so kam es, dass die beiden sich wieder angefreundet hatten. Diesmal jedoch wollte Maria es bei einer Freundschaft belassen, obwohl sie manchmal den Eindruck hatte, dass Thomas noch immer etwas für sie empfand.

„Das Navi sagt, dass wir in einer halben Stunde ankommen“, bemerkte Natalie und holte Maria aus ihren Gedanken.

„Oh, so bald. Meinst du, die anderen sind schon da?“

„Also Thomas ist wohl schon gestern angereist. Vielleicht ist sein Bruder auch schon da“, erwiderte Natalie mit einem schiefen Grinsen.

„Steffen und Sabine können erst morgen kommen, das hatten mir die beiden vorhin noch geschrieben. Dann fehlen noch Tamara und Sophia. Von denen habe ich bislang nichts gehört“, ergänzte Maria.

„Ich aber. Sie sollten etwa gegen Abend ankommen“, wusste Natalie, dann schlug sie sich erneut mit der Handfläche gegen die Stirn, „Ach, das habe ich noch gar nicht erzählt. Sophia bringt noch jemanden mit.“

„Ach? Etwa den Typen, um den sie so ein Geheimnis gemacht hat?“, spekulierte Maria.

„Genau der. Ich bin ja so gespannt“, antwortete Natalie.

„Was wissen wir bislang über ihn?“, wollte Maria wissen.

„Nicht viel. Er ist wohl älter als sie und sie haben sich beim Sport kennengelernt.“

„Na, wir werden es ja bald genauer wissen“, verschob Maria das Thema auf später.

„Dann sind wir wohl zwei Pärchen und ein ganzer Haufen Singles. Mal sehen, wie es nach dem Urlaub aussieht“, kicherte Natalie.

Maria hob die Augenbrauen. „Also eines steht fest, ich werde an dem Zustand nichts ändern.“

Natalie beobachtete Maria im Augenwinkel. „Schauen wir mal. Thomas‘ Bruder ist noch immer ein richtiges Sahneschnittchen. Der wäre doch was für dich, oder?“

Maria zischte verächtlich durch die Zähne. „Markus? Auf gar keinen Fall.“

Tatsächlich war sie nicht im Geringsten an ihm interessiert. Eigentlich war es Natalie, die schon damals ein Auge auf ihn geworfen hatte. Wie dem auch sei, Marias Segen hatte sie. Auch wenn Maria glaubte, dass Markus sicher nicht die beste Partie für Natalie war.

Inzwischen hatten sie den Wald erreicht, wo Ihnen die Bäume den dringend ersehnten Schatten spendeten. Deutlich kühlere Luft drang nun durch die offenen Fenster und es roch herrlich nach Tannen und Waldboden. Maria schloss die Augen, atmete tief ein und nahm den würzigen Duft des Waldes in sich auf. Sofort erschienen Bilder aus ihrer Kindheit. Sie erinnerte sich an die unzähligen Campingurlaube mit ihren Eltern, an die heißen Tage am See und die kühlen Nächte im Zelt.

„Ich hoffe, es kommen keine Gabelungen. Das Navi kennt den Weg ab hier wohl nicht mehr“, Natalie blickte stirnrunzelnd auf das Display, das bloß noch eine hüpfende Kompassnadel zeigte. Immer tiefer führte die unbefestigte Straße in den dichter werdenden Wald hinein.

„Es hieß, wir sollen einfach immer der Straße folgen“, erinnerte sich Maria an Thomas‘ Anweisungen. Also fuhren sie stur weiter, bis sich der Wald allmählich wieder zu lichten begann. In der Ferne tauchte endlich das Ufer des Sees auf, das sie, laut Beschreibung, unweigerlich erreichen sollten. Je näher die Straße sie an den See heranführte, desto genauer ließ sich die Größe des eindrucksvollen Gewässers ermessen. Der glasklare See war so riesig, dass Maria kaum das gegenüberliegende Ufer erkennen konnte. Außerdem versperrten die hervorragenden Feldwände die Sicht auf Teile des Gewässers. Es ließ sich nur erahnen, wie weit sich der See außerdem dahinter erstreckte.

„Ach du meine Güte. Ich hatte wohl eher an einen etwas größeren Teich gedacht, aber dieser See ist ja der Wahnsinn“, staunte Natalie, während sie der Straße neben dem Ufer folgten.

„Das ist wirklich wunderschön“, Maria blickte verträumt auf die spiegelglatte Wasseroberfläche.

„Da vorne“, rief Natalie unvermittelt, „Ich glaube, da ist es.“

Maria spähte durch die Windschutzscheibe und tatsächlich, baute sich vor ihnen ein beeindruckendes Ferienhaus auf.

„Hütte?“, quietschte Natalie fassungslos, „Das nennt er eine Hütte? Das ist eher ein herrschaftliches Anwesen.“

Sie übertrieb keineswegs. Auch Maria musste zugeben, damit nicht gerechnet zu haben. Bei der angekündigten Hütte handelte es sich in Wahrheit um ein zweistöckiges Cottage der gehobenen Klasse mit einem Fundament aus Naturstein und einem Aufbau aus modernem Fachwerk. Die Fenster reichten bis zum Boden und ließen erahnen, welchen großartigen Ausblick man von Innen auf den See haben würde. Vor dem Eingang parkte Thomas‘ Cabriolet mit geöffnetem Verdeck. Natalie stellte ihren Wagen direkt daneben ab. Glücklich, endlich angekommen zu sein, stiegen die zwei Frauen aus und streckten ihre eingerosteten Gelenke.

„Du glaubst nicht, wie mir mein Arsch vom langen Sitzen weh tut“, jammerte Maria.

„Wusste gar nicht, dass dein kleiner hübscher Hintern so empfindlich ist“, ertönte unerwartet eine Männerstimme hinter ihnen. Thomas näherte sich ihnen aus Richtung des Sees. Er schien gerade schwimmen gewesen zu sein, denn er trug bloß Boxershorts und ein Handtuch über seinen Schultern. Man sah, dass er seinen durchtrainierten Körper gern präsentierte und er störte sich auch nicht daran, dass er Natalie und besonders Maria nicht mehr damit beeindrucken konnte.

„Thomas, wir freuen uns hier zu sein“, begrüßte Natalie ihn.

„Ja, ich finde es großartig, dass es bei euch mit dem Urlaub geklappt hat.“

Er schenkte beiden eine herzliche Umarmung.

„Bist du noch allein?“, wollte Maria wissen.

„Nein. Markus kam heute Morgen an. Gerade ist er allerdings in der Stadt, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Wir wollen heute Abend grillen.“

„Wunderbare Idee. Ich bin schon fast am Verhungern“, antwortete Natalie.

„Kommt, ich zeige euch die Hütte.“

„Ja genau, die olle Hütte“, sagte Maria ironisch, „hätte mir eigentlich denken können, dass du maßlos untertrieben hast.“

Thomas grinste verschmitzt. Er schnappte sich das Gepäck und begleitete die zwei Frauen zum Haus.

„Wie ihr seht, befindet sich hier unten das Wohnzimmer und die Küche“, erklärte er.

Der Raum maß rund sechzig Quadratmeter und war damit größer als Marias gesamte Wohnung. Die Einrichtung war rustikal, aber geschmackvoll und vor allem hochwertig eingerichtet. Vor dem Steinkamin befand sich ein großes, altes Ledersofa und links und rechts davon jeweils ein gemütlich wirkender Ohrensessel. Zu ihrer Linken befand sich eine helle, sympathische Landhausküche, die offen ins Wohnzimmer ragte und in der Mitte eine aus Stein gemauerte Kücheninsel besaß. Davor befand sich ein großer ovaler Holztisch, der Platz für zehn Personen bot. Gegenüber der Eingangstür führte eine Treppe in die zweite Etage, die Thomas sogleich ansteuerte. Die zwei Frauen folgten ihm.

„Was ein Glück, dass wir so früh da sind. Dann können wir uns das schönste Zimmer aussuchen“, flachste Natalie.

„Zu spät“, lachte Thomas, „das hat sich Markus schon geschnappt. Aber vielleicht lässt er dich ja bei ihm schlafen.“

„Pff, das hätte er wohl gerne“, krächzte Natalie ertappt. Maria bemerkte Natalies errötete Wangen, sagte aber nicht, sondern schmunzelte in sich hinein.

„Aber“, kündigte Thomas an, während er eine der Zimmertüren öffnete, „ihr bekommt das zweitschönste Zimmer.“

„Wow, das ist echt toll“, bestätigte Maria begeistert.

Das Zimmer war sehr geräumig und mit einem breiten Kingsizebett ausgestattet. An der Wand hing ein LCD-Fernseher und an der Seite befand sich ein alter, großer Bauernschrank, in dem Maria ihre gesamte Garderobe hätte unterbringen können. Das eigentliche Highlight des Zimmers war allerdings das zimmerbreite Panoramafenster mit Blick auf den See.

„So Mädels. Dann richtet euch mal ein. Das Bad ist am Ende des Flurs. Handtücher sind dort im Schrank. Ich gehe mal runter und bereite die Getränke vor.“

Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, ließen sich die zwei Frauen erstmal gemütlich aufs Bett fallen.

„Herrlich“, Natalie stieß einen zufriedenen Seufzer aus.

„Oh ja. Aber ich darf nicht liegen bleiben, sonst werde ich müde“, ermahnte Maria sich selbst, blieb aber dennoch regungslos liegen.

Auch Natalie fiel es schwer, sich vom bequemen Bett zu lösen, gab sich aber schließlich einen Ruck.

„Los Maria, lass uns bequeme Klamotten anziehen“, spornte sie Maria an.

Widerwillig folgte sie der Aufforderung und holte ein paar Kleidungsstücke aus ihrer Tasche. Sie zogen sich um, machten sich im Bad frisch und gesellten sich wieder zu Thomas, der bereits ein paar kühle Getränke auf der Küchentheke bereitgestellt hatte.

„Was wollt ihr trinken? Bier, Weinschorle?“

„Ich nehme, glaube ich, erstmal eine Limo“, überlegte Maria.

„Klar, findest du im Kühlschrank da drüben“, er deutete auf den großen Kühlschrank in der Ecke der Küche. Sie näherte sich dem Kühlschrank, als sie ein unangenehmes Kribbeln im Nacken spürte, gefolgt von einem spontanen Schwindelgefühl. Automatisch machte sie einen Ausfallschritt und stütze sich mit ihrer Schulter an der Wand ab.

„Alles ok?“, fragte Thomas, der ihre unsichere Bewegung offenbar beobachtet hatte.

„Ja“, antwortete Maria zittrig.

Thomas eilte zu ihr und legte besorgt seinen Arm um ihre Schulter.

„Leute, alles ok. Ich hab wohl nur zu wenig getrunken oder gegessen“, versuchte Maria sie zu beruhigen.

„Dann leg dich einen Moment hin. Auf der Terrasse gibt es ein paar Liegen“, schlug Thomas vor. Maria nickte. Natalie füllte ein Glas mit Wasser, reichte es Maria und begleitete sie nach Draußen.

Kaum hatte sie Platz genommen, hörten sie vor dem Haus einen Wagen heranrollen.

„Das ist Markus. Ich geh mal und helfe ihm beim Tragen“, informierte Thomas die beiden Frauen.

„Alles wieder ok mit dir?“, wollte Natalie von Maria wissen.

„Ja. Alles ok. War eben ganz seltsam. Zuerst dieses Kribbeln und dann…aber jetzt ist ja alles gut.“

Nun betrat Markus die Veranda und begrüßte die beiden. Auch er sah blendend aus. Braungebrannt mit dunklen Locken. Genau Natalies Typ, wohingegen sie selbst mit ihren langen blonden Haaren und der hellen Haut das komplette Gegenteil war. Maria hatte ihn seit der Schulzeit nicht mehr gesehen. Umso mehr freute sie sich auf das Wiedersehen, denn sie hatten sich schon damals gut verstanden.

„Natalie, Maria. Da seid ihr ja endlich. Hatte schon Angst, dass ihr mich hier mit meinem blöden Bruder versauern lasst.“

„Pah, sei froh, dass ich dich mitgenommen habe“, konterte Thomas.

Markus nahm es gelassen und ignorierte die Stichelei. Stattdessen umarmte er zunächst Natalie und gab ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange, was Natalie erneut die Röte ins Gesicht trieb. Dann wendete er sich Maria zu. Auch ihr bot er seine offenen Arme an. In dem Augenblick, in dem sie sich berührten, spürte Maria, wie ein Zucken durch Markus‘ Körper fuhr. Als hätte sie ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Irritiert wich er zurück und musterte sie skeptisch, setzte aber sofort wieder sein typisches Sonnyboy Lächeln auf. Auch Maria fand die Situation seltsam, vermutete aber, dass sich Markus einfach nur erschreckt hatte.

„Habt ihr Lust auf Steaks?“

Maria nickte eifrig. Ihr lief allein bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen. Natalie ging es nicht anders.

„Ok. Tamara und Sophia sollten auch bald da sein. Dann werfe ich mal den Grill an.“

„Brauchst du Hilfe?“, bot Natalie an.

„Gern. Dann lass uns mal alles Nötige von drinnen holen.“

Thomas und Maria blieben draußen und genossen den Blick auf die sich langsam rot färbende Sonne.

„Ihr habt hier wirklich ein schönes Fleckchen. Gehört euch das alles?“, fragte Maria.

„Ein großer Teil gehört uns, ja. Aber der See und der gegenüberliegende Teil ist öffentlicher Grund. Natürlich würde mein Vater am liebsten auch noch diesen Teil kaufen.“

„Um Himmels Willen. Reicht ihm der Platz hier etwa nicht aus? Ich habe auf dem Hinweg keinen einzigen Menschen, geschweige denn irgendwelche anderen Häuser gesehen.“

„Dieser Ort ist schon sehr lange in Familienbesitz und meinem Vater sehr wichtig. Unter keinen Umständen will er, dass die Stadt irgendwann mal auf die Idee kommt, Touristenscharen oder ähnliches anzulocken“, Thomas‘ Stimme klang ernst. Maria hatte beinahe das Gefühl, einen wunden Punkt erwischt zu haben.

„Wie ich deinen Vater kenne, findet er einen Weg, das Gelände zu kaufen“, diesmal wählte Maria ihre Worte mit Bedacht.

Thomas‘ Vater war ein erfolgreicher Immobilienmogul und war es gewohnt, zu bekommen was er wollte. Bestimmt war ihm die Situation mit dem Grundstück ein echter Dorn im Auge. Und wie Maria ihn kannte, lauerte er nur auf eine günstige Gelegenheit, sein Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen. Ganz gemäß nach seiner Philosophie „Ausharren und im richtigen Moment zuschnappen“. Dieses Motto hatte ihn dahin gebracht, wo er jetzt war und er ließ keine Familienfeier aus, dies zum Besten zu geben.

„Hey. Ich glaube, da kommen Tamara und Sophia“, sagte Thomas.

Jetzt registrierte auch Maria das Geräusch eines heranfahrenden Fahrzeugs.

„Komm, wir gehen sie begrüßen“, schlug sie vor und sprang auf. Die Sonne stand inzwischen tief und die Luft wurde merklich kühler und angenehmer. Als sie den Vordereingang erreichten, waren die neuen Gäste bereits ausgestiegen. Neben Sophia stand ein Mann, der vermutlich Anfang dreißig war. So sah er also aus. Maria hatte sich den neuen Mann an Sophias Seite zugegebenermaßen etwas anders vorgestellt. Er wirkte nicht sonderlich sportlich, sondern eher gemütlich, trug einen Vollbart und hatte charmante Lachfältchen um die Augen herum, was ihn sehr sympathisch wirken ließ. Bestimmt keine schlechte Wahl, war Marias erster Gedanke.

„Nun, das ist Frank“, präsentierte Sophia ihn stolz, aber mit leicht geröteten Wangen. Die Neuankömmlinge brachten zunächst ihre Habseligkeiten nach oben und fanden sich kurze Zeit später auf der Terrasse ein. Der gemütliche Teil des Abends konnte beginnen. Sie unterhielten sich bis tief in die Nacht. Es gab viel zu erzählen, denn die meisten hatten sich seit Monaten nicht gesehen. Gern hätte Maria noch länger geplaudert, doch ihr fielen immer wieder die Augen zu. Also verabschiedete sie sich mit einem herzhaften Gähnen und wünschte eine gute Nacht. Auf dem Weg nach oben machte sie einen kurzen Abstecher in die Küche. Sie hatte es sich angewöhnt, immer einer Flasche Wasser am Bett zu haben, also steuerte sie den Kühlschrank an. Maria streckte die Hand nach dem Griff aus, als es erneut geschah. Ein stechender Schmerz durchzog ihren Nacken, diesmal sogar noch intensiver als beim ersten Mal. Unweigerlich zuckte ihre Hand vom Kühlschrank zurück und griff nach der schmerzenden Stelle. Dann setzte wieder der Schwindel ein. Sie suchte an der gegenüberliegenden Kücheninsel Halt und brachte ihren Körper damit wieder unter ihre Kontrolle. Maria verzichtete auf ihre Flasche Wasser und zog es vor, lieber schnell zu ihrem Bett zu kommen. Sie verließ die Küche und betrat die Treppenstufen. Es war seltsam. Ihr kam es vor, als würden die Symptome prompt verschwinden, kaum hatte sie einen gewissen Abstand zu diesem Kühlschrank erreicht. Ob das an den Stromkabeln lag? Doch dann müssten die anderen doch auch etwas merken. Eine andere Erklärung hatte Maria allerdings nicht. Kaum lag sie im Bett, übermannte sie erneut die Müdigkeit und ließ vorerst keine weiteren Gedanken darüber zu. Ihre Augen fielen zu und sie entschwand in die Welt der Träume. In der Nacht schreckte sie auf. Sie hatte schlecht geträumt, hatte Schweißperlen auf der Stirn und war noch außer Atem. Maria wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Sie wurde das Gefühl nicht los, als sei ihr Traum irgendwie wichtig gewesen. Angestrengt versuchte sie sich an die Details zu erinnern, bevor sie zu verblassen drohten.

Im Traum hatte sie erneut vor dem Kühlschrank gestanden. Ihr Blick war rechts auf eine alte, hölzerne Tür gefallen, die ihr bislang nicht aufgefallen war. Sie schien verschlossen. Maria hatte auf die Klinke gedrückt, doch sie öffnete sich, wie erwartet, nicht. Aber sie musste diese Tür öffnen, eine innere Stimme hatte sie gedrängt, es erneut zu probieren. Schwungvoll hatte sie mit beiden Händen ihr gesamtes Körpergewicht auf den kalten Türgriff geworfen. Mit einem Knarzen hatte sich der Riegel gelöst und die Tür war aufgesprungen. Maria hatte in die Dunkelheit geblickt. Modrige, kühle Luft war ihr entgegen geströmt. Sie hatte eine Schnur entdeckt, die von der Decke neben einer Lampe herabhing und hatte daran gezogen. Die schwachtrübe Leuchte, die den Namen kaum verdient hatte, hatte nur wenig offenbart. Der Sichtradius hatte sich höchstens um einen, maximal zwei Meter erweitert. Maria hatte sich angestrengt umgesehen. Die unverputzten Wände und die herabführenden Treppen hatten einen Naturkeller vermuten lassen. Ihr war mulmig zumute gewesen. Am liebsten hätte sie die Tür wieder zugeschlagen. Doch irgendwas war da unten gewesen. Ehe sie sich`s versah, war sie willenlos Stufe für Stufe die Treppe herabgestiegen. Sie hatte sich unbehaglich gefühlt, hatte aber keine Macht über ihre Beine gehabt. Immer dunkler war es um sie herum geworden, bis sie sich schließlich in einem kleinen Raum befunden hatte. Sie hatte sich umgesehen und neben sich einen weiteren Lichtschalter gefunden. Der kleine Keller hatte Getränkekisten, große Holzboxen, sowie ein paar alte Stühle gelagert. Es hatte nach feuchter Erde gerochen. Ihr Blick war an einer der Boxen haftengeblieben, obwohl sie sich augenscheinlich nicht von all den anderen Kästen unterschieden hatte. Irgendwas hatte sich dort drin befunden, das hatte sie gespürt. Sie hatte die Kiste schon beinahe erreicht, als ein Geräusch von oben zu hören gewesen war. Schritte. Knarzende Treppenstufen hatten sie zusammenzucken lassen. Ihr Herz hatte bis zum Hals geklopft. Panisch hatte sie nach einem Fluchtweg oder wenigstens einem Versteck gesucht. Doch da war nichts gewesen, kein weiterer Ausgang, kein Versteck. Sie hatte kaum noch Luft bekommen und gerade als sich die unbekannte Bedrohung gezeigt hätte, war sie aufgewacht.

Sie hatte schon immer eine rege Fantasie und hatte auch hin und wieder Albträume. Doch dieser Traum fühlte sich erschreckend realistisch an. Ihr Herz schlug noch immer wie wild. Sie atmete ein paar Mal tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Erst jetzt registrierte sie die schlafende Natalie neben sich. Ein Blick aufs Handy verriet, dass es vier Uhr war. Sie sollte also besser wieder einschlafen. Nach endlosem Hin- und Hergewälze kam sie irgendwann zur Ruhe und fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.



Kapitel 2

Der neue Tag hatte den Traum der Nacht wieder verblassen lassen. Übrig blieb ein leises, mulmiges Gefühl, dem Maria aber nicht zu viel Bedeutung zumessen wollte. Erst als sie die Treppe in die untere Etage herunterlief, schreckte sie abrupt zusammen. Diese Tür aus ihrem Traum gab es wirklich. Und sie sah genauso aus. Na und wenn schon, beruhigte Maria sich selbst. Sehr wahrscheinlich hatte sie die Tür am Abend unterbewusst wahrgenommen und schließlich in ihren verrückten Traum eingebaut. Sie beschloss, den Traum einfach Traum sein zu lassen und widmete sich gedanklich dem bevorstehenden Tag.

Heute würden Steffen und Sabine die Runde komplettieren. Sie hatten angekündigt, etwa gegen Mittag einzutreffen. Da der Rest der Bande noch schlief und sie noch keinen Appetit hatte, schlenderte sie zum See. Die Luft war herrlich klar. Eine leichte Brise zog über das Wasser und bescherte ihr eine angenehme Gänsehaut. Der strahlend blaue Himmel ließ verlauten, dass auch heute wieder ein heißer Sommertag bevorstand. Maria genoss die Ruhe während sie am Ufer entlangschlenderte. Am Steg angekommen, fiel ihr das Motorboot auf, dass an einem der Pfosten vertäut war. Es war etwa vier Meter lang und leuchtend rot. Am Rumpf prangte der Name „wilde Hilde“. Maria musste grinsen. Hilde, so hieß Thomas Mutter. Vermutlich ein kleiner neckischer Scherz von ihrem Mann. Maria sah sich weiter um und entdeckte eine kleine Leiter am Ende des Stegs. Wie warm das Wasser wohl war? Sie bestieg die Leiter und nahm die ersten paar Streben, bis sie mit einem Fuß das Wasser erreichte. Es war kalt, aber nicht zu kalt, um nicht nachher eine Runde zu schwimmen. Nun aber überlegte sie, erst einmal Frühstück für alle zu machen. Unbekümmert betrat sie die Küche und hatte die mysteriöse Tür beinahe wieder vergessen, da setzte das undefinierbare Gefühl wieder ein. Als würden tausende kleine Ameisen über ihren Nacken wandern. Allmählich musste sie der Sache auf den Grund gehen. Was zum Teufel war nun hinter dieser Tür? Langsam griff sie nach der Klinke. Mit etwas Glück war die Tür nicht verschlossen und tatsächlich, mit einem Klick entriegelte sich der Schnapper.

„Suchst du was Bestimmtes?“, ertönte es unvermittelt hinter ihr.

„Scheiße, hast du mich erschreckt“, zuckte Maria zusammen.

Thomas stand genau hinter ihr. Wie um alles in der Welt hatte er sich so lautlos anschleichen können?

„Ach du meine Güte, ich dachte, du hättest mich kommen hören? Aber was willst du da drin?“

„Ähm“, stotterte Maria, denn sie wusste darauf keine passende Antwort. Von ihrem Traum wollte sie nichts erzählen, denn das war ihr irgendwie peinlich. Also stellte sie ihm stattdessen eine Gegenfrage: „Was ist denn da unten?“

„Woher weißt du, dass es runtergeht?“, fragte Thomas verdutzt.

„Ähm“, kam es erneut aus ihr raus, „ich dachte mir einfach, dass das der Keller ist.“

„Ja, stimmt. So ist es. Aber wir lagern da eigentlich nur Getränke und alten Kram. Nichts besonders Interessantes. Wollen wir nicht lieber Frühstück machen?“

Maria nickte und zog die Tür wieder zu.

Nach dem Frühstück beschloss die Gruppe, gemeinsam baden zu gehen. Einige hatten es am Vorabend ein wenig mit dem Alkohol übertrieben und hofften, damit ihren Kater vertreiben zu können. So auch Natalie, die ihre verquollenen Augen hinter einer großen Sonnenbrille verbarg.

„Oh Mann, bitte halte mich heute Abend davon ab, was zu trinken“, keuchte sie, während sie versuchte, ihre Luftmatratze aufzublasen.

„Ich bin doch nicht dein Babysitter. Das wirst du schon selbst entscheiden können“, Maria grinste schadenfroh und Natalie schenkte ihr dafür einen finsteren Blick. Dieser hellte sich spontan wieder auf, als sie über Marias Schulter sah. Da stand Markus, der ebenfalls eine Matratze unter dem Arm bereithielt.

„Na Mädels, fertig fürs Wasser?“

Auch er war von Kopf bis Fuß durchtrainiert. Allerdings war sein Körper, im Gegensatz zu dem seines Bruders, eher drahtig. Thomas Muskeln wirkten aufgeblasen, seine jedoch geschmeidig. Natalie konnte ihren schmachtenden Blick kaum abwenden und grinste etwas debil drein. Maria blies verständnislos Luft aus ihren Backen, schnappte sich ihren Schwimmreifen und ging voraus zum Steg.

Das Wasser war herrlich erfrischend und weckte in Maria sämtliche Lebensgeister. Inzwischen hatten sich auch alle anderen am Wasser eingefunden. Einige spielten eine Runde Wasserball, andere lagen faul auf ihren Matratzen und ließen sich im Wasser treiben. So auch Maria und Natalie.

„So könnte ich den ganzen Sommer verbringen“, schwärmte Natalie und streckte ihr Gesicht der Sonne genüsslich entgegen.

„Dagegen hätte ich nichts einzuwenden“, murmelte Maria, die bereits halb in ihrem Schwimmring eingedöst war. Die Ruhe nahm allerdings ein jähes Ende, als sich Thomas und Markus unbemerkt den zweien näherten und sie mit einem Satz von ihren Matratzen ins Wasser schubsten. Fluchend schnappte Maria nach Luft. Sie war bitterböse und nahm den Jungs diese Aktion wirklich übel. Natalie war ebenfalls nicht begeistert, ließ sich von Markus aber schnell durch ein charmantes Lächeln beschwichtigen. Nein, so leicht wollte Maria es ihnen nicht machen und schwamm beleidigt davon.

„Hey, jetzt sei doch nicht eingeschnappt“, rief ihr Thomas hinterher.

Doch sie ignorierte ihn und schwamm einfach ungerührt weiter. Erst nach einer ganzen Weile drehte sie sich um und war überrascht, wie weit sie sich von den anderen entfernt hatte. Das besorgte sie aber nicht, sie war eine hervorragende Schwimmerin. Schon als kleines Kind konnten ihre Eltern sie kaum aus dem Wasser rausbekommen. Doch allmählich wurde ihr kalt. Sie sah sich vor Ort um. Direkt neben ihr erhob sich eine steile, langgezogene Felskante. Hier konnte man definitiv nicht an Land gehen. Um aus dem Wasser zu kommen müsste, sie entweder noch weiter schwimmen oder wieder zurückkehren. Sie versuchte, die Distanz bis zum nächsten Ufer abzuschätzen. Vermutlich so dreihundert Meter, dachte sie. Das war ihr dann doch zu weit. Sie wollte soeben umkehren, da erspähte sie etwas an dem Ufer. War das eine Frau? Maria musste blinzeln, da das Wasser das Sonnenlicht reflektierte. Nach den Konturen zu urteilen stand da eine Frau mit einem Kleid. Und wenn sie nicht alles täuschte, war auch Maria bereits von der Frau entdeckt worden. Aber irgendwas stimmte an dem Bild nicht. Maria hätte aber nicht beschreiben können, was falsch war. Sie überlegte kurz, ob sie doch in diese Richtung weiter schwimmen sollte. Sie wandte sich nochmal zu ihrer Gruppe um, damit sie die Länge des Rückwegs vergleichen konnte. Als sie danach abermals zum zweiten Ufer blickte, war die Frau verschwunden. Wie konnte sie sich so schnell in Luft auflösen? Das Ufer war breit und flach und der Wald lag tief. Maria hatte sich doch nur für ein paar Sekunden umgedreht. Oder hatte sie sich die Frau nur eingebildet? Sie fühlte sich unbehaglich, daher beschloss sie umzukehren. Seltsam. Erst das mit der Tür, dann der Traum und nun eine Fata Morgana?

Gegen Mittag trafen Steffen und Sabine ein. Das Geschehen verlagerte sich daher wieder auf die Terrasse. Vorher wollten Natalie und Maria allerdings noch in trockene Klamotten schlüpfen und gingen in ihr Zimmer.

„Vorhin beim Schwimmen habe ich eine Frau am anderen Ufer gesehen“, begann Maria zu erzählen.

Natalie begann zu kichern: „Kommt jetzt so eine Art Offenbarung?“

Maria blickte sie verständnislos an.

„Na, anderes Ufer? Frau?“, noch immer sah Natalie in ein rätselndes Gesicht. Sie versuchte es erneut und diesmal noch deutlicher: „Eine Frau vom anderen Ufer. Im Sinne von Lesbe?“

Jetzt fiel auch bei Maria der Groschen und sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie Natalies Witz lustig, oder bloß furchtbar doof.

„Ach Menno. Doch nicht so“, maulte Maria, „da war wirklich eine Frau, aber irgendwas stimmte nicht mit ihr.“

„Was genau meinst du?“

„Ach, ich weiß auch nicht“, Maria war von sich selbst genervt, weil sie das Gefühl nicht in Worte fassen konnte.

„Ging es der Frau nicht gut?“, Natalie bemühte nun ernsthaft auf Maria einzugehen.

„Nein, das war es nicht. Es war…sie sah…sie hat sich in Luft aufgelöst.“

„In Luft aufgelöst?“, Natalie sah sie nun ungläubig an.

„Ja, nein. Ich weiß, das ist Quatsch. Vergessen wir das einfach, ok?“, beendete Maria das Thema. Natalie betrachtete sie jedoch noch eine Weile grübelnd, ließ es dann aber auf sich beruhen.

Der Rest des Tages verlief zu Marias Freude ohne weitere Merkwürdigkeiten. Außer vielleicht, als Thomas zu späterer Stunde ordentlich angeheitert einen Annäherungsversuch startete. Er ging ihr damit tierisch auf die Nerven. Zu ihrem Glück kam ihr Markus zur Hilfe. Er nahm seinen Bruder zur Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie hatte keine Idee, wie er das Wunderwerk mit nur wenigen Worten vollbracht hatte. Aber seinen besoffenen Bruder brachte er tatsächlich zur Räson. Wie ein braver Junge saß Thomas nun da, als sei nichts gewesen.

„Nicht schlecht. Er macht wirklich, was du ihm gesagt hast…was auch immer das war“, sagte Maria verblüfft.

„Tja, sowas können nur wenige. Und ich bin ein richtiges Naturtalent“, prahlte er.

„Ach, nun übertreib mal nicht. Nur weil du es schaffst, dass dein kleiner Bruder auf dich hört“, konterte Maria.

„Oh ho, da glaubt mir wohl jemand nicht. Ich wette, ich schaffe es, dass auch du machst, was ich dir sage“, Markus‘ Augen funkelten sie herausfordernd an. Maria hob skeptisch eine Augenbraue und verschränkte demonstrativ die Arme: „Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“ Sie zögerte kurz, entschied sich aber dann: „Na schön. Versuchs doch. Wie lautet denn deine Wette?“

„Ich wette mit dir, dass du mich am heutigen Abend noch freiwillig küsst.“

Maria begann zu lachen. Thomas, der ihrer Unterhaltung gefolgt war, sah die beiden allerdings etwas zerknirscht an. Er protestierte: „Markus, bitte…“

Doch er wurde rüde von seinem Bruder unterbrochen: „Ah, ah, ah. Lass doch Maria selbst entscheiden, ob sie die Wette annimmt.“ Markus’ Augen hatten sich mittlerweile zu raubtierartigen Schlitzen zusammengezogen. Maria wusste nicht, was sie von dem Vorschlag halten sollte. Andererseits war sie absolut sicher, diese Wette nicht verlieren zu können. Niemand konnte sie schließlich zu etwas zwingen, was sie nicht wollte.

„Meinetwegen. Es ist jetzt halb zwölf. Bis Mitternacht hast du Zeit.“

Markus schmunzelte siegessicher.

„Einverstanden.“

Zum Glück hatte Natalie nichts von dieser absurden Wette mitbekommen. Sicher wäre sie von Markus‘ Vorhaben nicht sonderlich begeistert gewesen. Doch dazu würde es ja gar nicht kommen. Maria war schon gespannt, welche Verführungstricks er in den wenigen verbleibenden Minuten aus dem Hut zaubern würde. Und die Uhr tickte ja bereits. Doch er machte bislang keinerlei Anstalten, sich nur im Geringsten mit ihr zu befassen. Stattdessen begann er ein Gespräch mit Frank, dem Freund von Sophia. Gehörte sicher alles zu seiner Taktik. Davon war Maria überzeugt. Und ein bisschen zeigte diese Taktik Wirkung. Maria begann unruhig zu werden. Ja, sie fand sein Verhalten schon beinahe unverschämt. Immer wieder sah sie auf die Uhr und inzwischen war es drei Minuten vor zwölf. Nun stand Markus endlich auf und nahm direkt neben Maria Platz.

„Du weißt schon, dass ich so gut wie gewonnen habe?“, triumphierte Maria bereits. Doch dann passierte das Unerwartete. Markus tat scheinbar nichts, sondern sah ihr lediglich tief in die Augen. Es war beinahe, als wäre Maria von seinem Blick gefangen. Sie nahm nichts mehr um sich herum wahr. Keine Geräusche, keine Bilder. Es gab nur noch Markus‘ Augen und seine wundervollen Lippen. Leise formte sich ein merkwürdiger Gedanke in ihrem Kopf. Zuerst kaum wahrnehmbar doch dann immer deutlicher. Ich wollte ihn küssen. Dieses Verlangen wuchs so unaufhaltsam, dass sie sich irgendwann nicht mehr zurückhalten konnte. Sie schob ihren Kopf nach vorne und ihre Lippen trennte nur noch Zentimeter von seinen. Sie überwand auch dieses letzte Stück und nun geschah es. Ein Blitz fuhr durch ihren Körper und ließ sie unweigerlich zurückweichen. Markus hatte die Augen weit aufgerissen. Sein entsetzter Blick verriet, dass auch er es gespürt und nicht erwartet hatte. Auch er wich vor ihr zurück, als sei er der Teufel und sie das Weihwasser. Dabei wäre er fast über seine eigenen Beine gestolpert. Maria musste sich zunächst mal sammeln. Sie konnte gar nicht begreifen, was soeben geschehen war. Langsam nahm sie ihre Umgebung wieder wahr und musste zu ihrem Unglück feststellen, dass Natalie ihren Blick auf sie gerichtet hatte. Es war ihr anzumerken, wie sehr sie um Fassung rang. Als sie ihre Tränen nicht mehr aufhalten konnte, sprang sie auf und verschwand im Haus. Maria zögerte nicht und folgte ihr.

„Natalie, warte. Es ist nicht, wie du denkst.“

Natalie hielt nicht an, sondern schlug stattdessen die Tür ihres Zimmers vor Marias Nase zu. Was eine scheiß Idee, auf die Maria sich da eingelassen hatte. Zu allem Übel tauchte nun noch Thomas hinter ihr auf.

„Was war das gerade?“

„Zum Teufel, ich habe keine Ahnung“, antworte Maria verwirrt, „bitte Thomas, ich will mich jetzt erstmal um Natalie kümmern.“

Er nickte und verschwand wieder nach unten. Sie klopfte vorsichtig, bevor sie eintrat und fand ihre beste Freundin, mit ihrem Kopf unter einem Kissen vergraben, vor.

„Geh bitte wieder“, hörte sie Natalies dumpfe, verheulte Stimme.

„Nein, nicht, bevor das geklärt ist. Das Ganze war eine bescheuerte Wette und Markus hat mich offenbar irgendwie…manipuliert.“

Mit viel gutem Zureden und unter Aufbringung all ihrer Überzeugungskraft schaffte sie es schließlich, Natalie zu beruhigen.

„Eigentlich sollte ich nicht auf dich sauer sein, sondern auf diesen Scheißkerl. Ich glaube, er hat dasselbe mit mir gemacht. Gestern Abend.“

Nun verriet Natalie, dass ihr gestern etwas ganz Ähnliches passiert war. Urplötzlich hätten Natalies Lippen auf seinen gelegen. Dabei hätte er im Vorfeld gar nicht groß mit ihr geflirtet. Maria presste die Lippen aufeinander, um ein Prusten zu unterdrücken. Sie glaubte ihrer Freundin aufs Wort. Aber sie glaubte definitiv nicht, dass Markus sie nur ansatzweise manipuliert hatte. Wahrscheinlich war sie einfach ohne sein Zutun gierig über ihn hergefallen. Und da Natalie eine sehr schöne Frau war, hatte Markus vermutlich nichts gegen ein wenig Zweisamkeit einzuwenden gehabt. Maria verriet ihrer Freundin nichts von ihren Spekulationen. Sie hielt Markus, vor allem nach der Aktion von eben, ohnehin für keine gute Partie. Besonders nicht für die sensible Natalie. Von dem Blitz, der während des Kusses durch Marias Körper gefahren war, wollte sie Natalie nicht erzählen. Das hätte die Geschichte wieder neu entfacht und sie war froh, dass Natalies Stimmung gerade wieder auf dem Weg der Besserung war.

„Ich gehe wieder runter und schaue, wie die Stimmung ist“, sagte Maria, nachdem alles geklärt war. Natalie nickte, wollte selbst aber im Zimmer bleiben. Als Maria den Flur betrat, hörte sie Markus, wie er im Wohnzimmer mit Thomas flüsterte. Sie blieb stehen, versuchte möglichst leise zu sein, um die beiden verstehen zu können.

„…doch, ich glaube schon…“, tuschelte Markus.

„Unfug, überleg mal, was das für ein Zufall wäre.“

„Glaub mir, ich habe darüber gelesen. Sie zeigt alle…“

Maria hatte sich wohl unbewusst vorgebeugt, wodurch die Diele ein lautes Knarzen von sich gegeben hatte und das Gespräch der Brüder abrupt verstummt war. Verdammt. Sie war aufgeflogen. Es blieb ihr somit nur die Offensive. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, kam sie die Treppe herunter und tat überrascht, als sie die beiden im Wohnzimmer entdeckte.

„Hey, was macht ihr?“, fragte sie unschuldig.

„Wir wollten schauen, ob bei euch alles ok ist“, antwortete Markus.

Das war eindeutig gelogen, wusste Maria. Es bestätigte ihr, dass er etwas zu verbergen hatte. Doch dann überraschte Markus sie.

„Hey, hör mal, wegen eben. Können wir noch mal zu zweit sprechen?“

Maria zögerte einen Moment, doch ihre Neugier siegte schließlich. Die beiden beschlossen, draußen ein paar Meter zu gehen.

„Tja, also …“, druckste er und kratzte an seinem Hinterkopf, „Das war eine blöde Idee von mir gewesen und es tut mir leid.“

Seine Worte klangen ehrlich und Maria war versucht, ihm das abzunehmen.

„Aber was hast du mit mir gemacht? Ich meine, du weißt genau, dass ich das normalerweise nie…“

„Hypnose“, unterbrach er sie.

„Hypnose?“, sie blieb verwundert stehen.

„Ja, ich hab sowas mal im Fernsehen gesehen und…naja, dann hab ich viel über dieses Zeug gelesen und rumprobiert.“

„Rumprobiert?“, wiederholte sie fassungslos, „Die Nummer ziehst du also häufiger ab?“ In Maria stieg Wut auf. Sie dachte an Natalie und überlegte, ob sie vielleicht doch Recht hatte. Hatte er auch ihre beste Freundin beeinflusst?

„Ja, naja, häufig würde ich nicht sagen“, ihm war die Sache sichtbar unangenehm. Wenn sie nicht so tierisch wütend auf ihn gewesen wäre, hätte sie, das musste sie zugeben, gern mehr darüber erfahren. Eigentlich glaubte Maria nicht an solchen Hokus Pokus, aber offenbar schien es ja wirklich zu funktionieren. Diese Anerkennung wollte sie Markus aber auf keinen Fall gönnen: „Du bist ein Arsch“, erwiderte sie deshalb.

„Ja, du hast Recht“, stimmte er artig zu. In seinen Mundwinkeln erkannte Maria trotzdem ein verschmitztes Lächeln.

„Mach sowas niemals wieder. Auch nicht mit Natalie“, ermahnte sie ihn.

„Nein, das habe ich nicht und werde ich auch nicht. Ich weiß, dass da irgendwas von ihr ist und das werde ich nicht ausnutzen“, seine Worte klangen aufrichtig, aber noch wollte sie ihn nicht aus ihrer Mangel befreien.

„Und das gestern mit Natalie?“, schob sie hinterher. Er musste doch damit rechnen, dass Maria darüber Bescheid wusste.

„Ich habe sie nicht manipuliert. Das kam alles von ihr“, schwor er und hielt die Hände unschuldig nach oben, „Ich will sie nicht verarschen. Aber ich weiß ja nicht mal, was sie genau will.“ In seiner Aussage schwang eine Frage an Maria mit, zu der auch sie keine Antwort parat hatte.

„Das müsst ihr miteinander klären. Ich mische mich nicht ein.“

Er nickte und Maria hatte den Eindruck, vorerst alles geklärt zu haben. Dennoch wollte sie ihn im Auge behalten. Aber nun traten sie erstmal den Heimweg an.

Erst als sie später im Bett lag, fielen ihr nochmal die aufgeschnappten Wortfetzen der beiden Brüder ein. Was meinte Thomas mit „dem Zufall“? Und was hätte nach „Sie zeigt alle…“ folgen sollen? Wer war überhaupt „sie“? Meinte er etwa Maria? Und was hatte Markus da gelesen? Einen richtigen Reim konnte sich Maria aus alle dem nicht machen. Zu gern wollte sie mit Natalie über all diese seltsamen Ereignisse sprechen, aber die schlief bereits. Maria entschied, sich das für den morgigen Tag aufzuheben.

Auch diese Nacht träumte Maria. Sie schwamm wieder im See, doch diesmal hielt sie tatsächlich auf das unbekannte Ufer zu. Sie suchte dort etwas. Aber was? Die Frau. Sie wollte die geheimnisvolle Frau finden. Als sie das Ufer erreichte, sah sie sich um. Doch sie entdeckte niemanden. Allerdings fand sie einen kleinen Pfad, der in den Wald hineinführte. Die Bäume standen dicht und ließen nur wenig Licht durch. Sie hatte alle Mühe, etwas zu erkennen, doch hatte sich da hinten nicht ein Schatten bewegt? Sie folgte dem Schatten, der ihr immer einen Schritt voraus zu sein schien. Und plötzlich sah Maria sie. Die Frau. Sie stand auf einer Lichtung und sah Maria direkt in die Augen. Ihr Blick war durchdringend, aber Maria machte das keine Angst. Die Unbekannte lächelte sie sanft an, woraufhin Maria das Lächeln erwiderte. Sie wollte auf sie zugehen, doch die Frau hob ermahnend die Hand. Maria stoppte abrupt und spürte, wie sie unvermittelt durch einen Sog nach hinten gezogen wurde. Sie wurde mitgerissen. Vor ihr wurde die Lichtung immer kleiner, bis die Frau und der Wald völlig vor ihren Augen verschwand. Dann war alles schwarz.

Am Morgen erinnerte sie sich nur vage an diesen Traum. Was aber blieb, war die Neugier herauszufinden, was dort an diesem Ufer tatsächlich zu finden war. Sie plante, bei nächster Gelegenheit nun doch einmal dorthin zu schwimmen. Am heutigen Tag sollte sich allerdings keine Chance bieten. Die Gruppe hatte sich für einen Ausflug in die nahegelegene Stadt entschieden. Sie sahen sich das historische Örtchen an, das sich als beliebter Kur- und Erholungsort entpuppte. Entsprechend hoch waren die Preise in den Läden, was die Mädels aber nicht von einem ausgiebigen Stadtbummel abhielt. Die Jungs machten einige Besorgungen für die nächsten Tage, bevor sich die ganze Gruppe in einem netten, kleinen Restaurant wieder zusammenfand. Erst gegen Abend trudelten sie wieder am See ein. Die Sonne hatte sich längst verabschiedet, also ließ die Clique den Abend mit einem gemütlichen Lagerfeuer ausklingen. Die Stimmung war ausgelassen. Niemand hatte es gewagt, den kleinen Zwischenfall vom Vorabend anzusprechen. Und das, obwohl sich Maria sicher war, das jeder davon mitbekommen hatte. Andererseits war sie recht froh darüber. Was geklärt werden musste, war geklärt, also gab es keinen Grund, weitere Worte darüber zu verlieren. Sie wollte einfach nur eine schöne Zeit mit ihren Freunden verbringen. Doch während sie mit halbem Ohr den Gesprächen folgte, drifteten ihre Gedanken immer wieder zu dem Traum des Vorabends ab. Was zog sie da so magisch an? Am liebsten wollte sie es sofort herausfinden. Doch der Respekt vor der Dunkelheit ermahnte sie, Dummheiten zu begehen. Vielleicht sollte sie sich nicht wie eine Besessene in etwas reinsteigern, rügte sie sich selbst. Andererseits würde sich dieser Ort am anderen Ende des Sees sehr einfach entzaubern lassen, indem sie ihn in Augenschein nehmen würde. Vielleicht ergab sich ja morgen eine günstige Gelegenheit dafür.

Ein neuer Morgen brach an und Maria erwachte ausgeschlafen, erholt und bestens gelaunt. Der gestrige Tag war völlig ohne merkwürdige Vorfälle verlaufen. Auch wurde sie in der Nacht von keinem furchterregenden Traum heimgesucht, also hoffte sie heute auf einen weiteren entspannten Tag. Nach dem Frühstück packten die Jungs die Angelausrüstung zusammen. Sie hatten am Vortag in der Stadt Köder gekauft und wollten nun mit dem Boot raus aufs Wasser.

„Ja, ein Mädelstag für uns. Das ist jetzt genau das, was ich brauche“, jubelte Tamara und die anderen Frauen stimmten mit ein. Sophia hatte Lust auf ein wenig Wellness und bereitete in der Küche Quarkmasken für die Frauen vor.

„Kommt Jungs, höchste Zeit zu gehen. Den Anblick wollen wir uns doch lieber ersparen“, gab sich Steffen machohaft.

„Du hast Recht. Wir schauen uns lieber später das Endergebnis an“, stimmte Thomas ihm spitzbübisch grinsend zu.

„Ach, du musst doch ganz still sein“, konterte Sabine mit einer wegwerfenden Handbewegung, „die meisten Cremchen im Bad gehören doch dir.“

Markus verkniff sich ein Lachen, denn alle wussten, wie Recht sie hatte. Insgesamt hielt sich Markus seit vorgestern Abend spürbar zurück. Maria mied er weitestgehend und auch von Natalie hielt er sich offenbar fern. Gut so, fand Maria. Ob Natalie das guthieß, konnte Maria jedoch nicht einschätzen.

Trotz des kleinen Zwischenfalls warf sie Markus immer noch gelegentlich schmachtende Blicke zu. Das entging auch Maria nicht und sie nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit mit ihrer Freundin über das Thema Markus zu sprechen. Zuerst aber wollten die Frauen ihren männerfreien Tag genießen. Sophia hatte die Liegen mit Handtüchern ausgestattet und Tamara die Smoothies bereitgestellt, um danach die anderen Frauen aufzufordern, ihren Platz einzunehmen. Maria ließ sich bereitwillig auf einer der Liegen nieder und nahm sich einen Drink. Kurz darauf gesellte sich Sophia zu ihr und begann damit, die kühlende Quarkmasse auf ihrem Gesicht zu verteilen. Natürlich durften auch die Gurkenscheibchen nicht fehlen. Als sich Maria schließlich mit ihren Gurkenaugen entspannt zurückfallen ließ, begannen ihre Gedanken zu wandern. Vor ihrem inneren Auge tauchte abermals die Frau auf, die sie sich womöglich nur eingebildet hatte. Existierte sie nun oder nicht? Aus dem Nichts war sie aufgetaucht und im nächsten Augenblick wieder verschwunden. Doch hatte sie bei Maria unterbewusst scheinbar so viel Eindruck hinterlassen, dass sie die Hauptrolle in Marias bizarrem Traum gespielt hatte. Was wollte die Frau ihr mitteilen? Oder vielmehr, was wollte Marias Unterbewusstsein ihr sagen? Selten hatten sich ihre Träume derart realistisch angefühlt. Sie dachte an ihren zweiten Traum. Der, mit dem düsteren Keller. Und an die Tür, die, wie sich herausgestellt hatte, ja tatsächlich existierte. Marias Nackenhärchen stellten sich bei dem Gedanken daran auf. Sie hatte das Bedürfnis, sich zu schütteln, um ihre Furcht loszuwerden. Nein, auf den Traum mit dem Keller könnte sie verzichten, aber was die Frau anging…eine innere Stimme riet ihr, diesen Traum nicht auf sich beruhen zu lassen. Sie musste dem unbedingt auf den Grund gehen, ins Wasser springen und einfach drauf losschwimmen. Am liebsten sofort. Doch wollte sie ihre Freundinnen nicht einweihen, wollte ihr Geheimnis nicht verraten. Sie würden es nicht verstehen, würden sie als Spinnerin bezeichnen. Also blieb sie liegen, versuchte an etwas anderes zu denken. Morgen. Morgen würde sie es tun. Unbedingt.



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